Pollenbach: Eure Armut!
Von Tobias Knopp
Pollenbach. Obwohl die internationale Finanzkrise nun auch in der kleinen niederhessischen Gemeinde Pollenbach angekommen ist, macht die Leiterin der örtlichen Filiale des amerikanischen Bankenkonsortiums „Grub & Greed Bank unlimited Inc.“ einen überaus gelassenen Eindruck. Wendy Rumsfeld sitzt Kaugummi kauend an ihrem großen Schreibtisch, trinkt einen dampfenden Becher Wellnesstee und manikürt ihre ohnehin makellosen Fingernägel. Ein dezenter Duft ihres Parfüms liegt in der Luft. Angst um ihren Arbeitsplatz wegen der rasanten Pleitewelle namhafter Geldinstitute kennt sie nicht.
Wendy Rumsfeld ist selbstbewusst. Sie blickt auf eine zehnjährige erfolgreiche Firmengeschichte zurück, in der aus „G&G“ ein milliardenschweres Unternehmen geworden ist. SEK-News hat Wendy Rumsfeld exklusiv interviewt. Die Fragen stellte Tobias Knopp.
SEK-News: Frau Rumsfeld, wie sehr sind Sie von der internationalen Finanzkrise betroffen?
Wendy Rumsfeld: Da kann ich Sie ganz beruhigen, Herr Knopp. Wir als das etablierteste Pollenbacher Geldinstitut sind effektiv nur in sofern betroffen, als dass die täglichen Schlagzeilen über die Pleite weiterer Banken soviel Platz in der Tageszeitung wegnehmen, dass das Kreutzworträtsel auf Seite drei wegfällt. Das ist schon extrem ärgerlich. Wissen Sie, wir haben hier viel Zeit, weil unser Geld für uns arbeitet. Und ohne das tägliche Kreutzworträtsel wird der Tag gleich noch mal so lang.
SN: Aber machen Sie momentan keine umfassenden Verluste, die Ihre Existenz gefährden könnten?
WR: Ja und nein. Im Gegensatz zu den Kreditinstituten, die in den letzten Wochen bereits vom Markt verschwunden sind, verfolgen wir seit Jahren eine völlig andere Strategie: Statt die Abermilliarden, die wir mit Spekulationen und Knebelkreditverträgen aus den Rippen unserer Kundschaft gepresst haben, durch unsere Bücher laufen zu lassen, haben wir das Geld einfach an unsere Vorstandsmitglieder ausgezahlt. Von dort wurde es über kleine Umwege diverser Parteispendenkonten einfach nach Luxemburg umgeleitet, wo es sich gut geschützt vor der Deutschen Steuerfahndung fleißig vermehrt. Wenn die Wirtschaftsprüfer unsere Bücher durchsehen, bringen sie immer Schokolade mit, um uns etwas zu trösten, diese Deppen, denn offiziell sind wir schon seit sechs Jahren so gut wie abgebrannt. Aber nur ‚so gut wie’…
SN: Was passiert mit dem Geld denn so?
WR: In erster Linie ist es da für die Unterhaltung der goldenen Villen und Rolls Royce unserer Vorstandsmitglieder und leitenden Angestellten. Einige haben auch schon Luxusjachten, aber seitdem die Piraterie vor Somalia so zunimmt, wird doch wieder gerne auf den privaten Learjet umgeschwenkt.
SN: Darf man also doch davon ausgehen, dass sich G&G unlimited von außen betrachtet in finanziellen Schwierigkeiten befindet?
WR: Natürlich, offiziell schon, aber sehen Sie, Herr Knopp, das ist doch ein wesentlicher Teil unserer Strategie. Wir streichen zunächst Milliardengewinne ein, schaffen sie beiseite und wirtschaften rein formal immer am Rande der Pleite. Und dann kommt der große Wurf: Bei der erstbesten Finanzkrise jammern wir medienwirksam herum und schieben so ein staatliches Rettungspaket an, wieder milliardenschwer. Das streichen wir dann, über den kleinen Umweg von Parteispendenkonten, auch noch ein. Und wenn der Markt abgegrast ist, gehen wir in ein anderes Land und ziehen die gleiche Nummer von vorne ab. Das nennt man auch das „Nokia-Prinzip“. Vorher müssen wir aber noch die Mitarbeiter rauswerfen. Aber die sind ja über ihre Sozialversicherung für die Arbeitslosigkeit gut aufgestellt.
SN: Wer finanziert diese Strategie?
WR: In erster Linie unsere Kunden, Kreditnehmer, Geschäftspartner und ganz selbstverständlich auch der Deutsche Steuerzahler.
SN: Heißt das, Sie haben kein schlechtes Gewissen, erst Riesengewinne einzustreichen und anschließend noch die Allgemeinheit abzuzocken?
WR: Gewissen? Wenn Sie über das Gewissen diskutieren wollen, gehen Sie von mir aus zum Bundesamt für Zivildienst. Für mich laufen da draußen fast 80 Millionen Rindviecher herum die laut darum betteln, von uns gemolken zu werden. Sehen Sie sich die doch mal an, dieser Evolutionsmüll ist doch nicht das Schwarze unter den Fingernägeln wert. Soviel Armut kotzt mich an, ehrlich.
SN: Wie halten Sie mit dieser Strategie eigentlich Ihre Kunden aus dem Mittelstand bei Laune?
WR: Ja, Herr Knopp, da haben Sie mich jetzt aber fast kalt erwischt. In dieser Frage müssen wir uns in der Tat dringend etwas einfallen lassen. Bisher haben wir immer schöne Reisen verschenkt. Die letzten beiden Kunden aus Kassel hatten wir vor vier Wochen zu einem Urlaub nach Ägypten geschickt. Der sollte eigentlich nur zehn Tage dauern, wurde aber durch einen nicht gebuchten Überlebenskursus in der ägyptisch-sudanesischen Wüste unter der Regie einer einheimischen Bürgerinitiative maßgeblich verlängert. Seit letztem Dienstag sind die Kunden wieder zu Hause. Sie haben schon angerufen, der Urlaub war scheiße… Ich dachte jetzt daran, zukünftig etwas eher praktisches anzubieten. Zum Beispiel 14 Tage Aktiv-Bastelurlaub in Österreich. Nicki Lauda macht da einen schönen Lehrgang: „Ohranhänger für Ohrenlose selbst gemacht“. Klingt doch gut, oder?
SN: Na, ja. Geht so.
WR: Gut, wir können nicht jeden Geschmack auf Anhieb treffen. Aber nebenbei, haben Sie eigentlich ein Konto bei uns, Herr Knopp?
SN: Nein, bisher nicht.
WR: Ich könnte Ihnen da evtl. eine bombenfeste Geldanlage mit maximaler Dividende anbieten. Ich lege auch noch einen Aktivurlaub in Österreich mit drauf…
SN: Nein, danke, ich brauche keinen Ohrschmuck.
WR: Eher etwas zur Erweiterung der beruflichen Kompetenzen? Da hätten wir noch einen prima Crash-Kurs „Wege zur Selbsterkenntnis – Der geborene Führer“ am Anna-Maria-Schicklgruber-Institut für angewandte Expansionspolitik in Braunau/Inn…
SN: Ist nicht meine Richtung. Wiedersehen.
WR: Sturer Bock!
SN: Zicke.
Bild 1 (TK): Mitarbeiter der Grub & Greed Bank unlimited Inc. „Dank der Sozialversicherung gut für die Arbeitslosigkeit aufgestellt“
Bild 2 (TK): Kasseler Erlebniswochen, aber „der Urlaub war scheiße“…