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Pollenbach: Der will doch nur spielen

Von Tobias Knopp

Pollenbach. Rudolf Hass (88) öffnete an diesem Morgen das große hölzerne Tor des „Reichshof“, jenes Refugiums altdeutscher Gesinnung im Pollenbacher Hinterforst. Träge blinzelte die Sonne durch den kühlen Nebel, während der Tau von den spitzen Zinnen der stacheldrahtbewehrten Mauern tropfte. Hass bemühte sich leise zu sein, um Erna Braun, seine Haushälterin, nicht vorzeitig zu wecken. Sie lag noch in ihrem Bett, mit gefalteten Händen, die Decke anstarrend. Seit dem plötzlichen Tod ihres verfilzten Schäferhundes Blindie, der ihr Nacht für Nacht brav Gesellschaft geleistet hatte, war Erna Braun sehr still geworden. Wie hatte sie den stinkenden Flohsack doch geliebt. Er hatte sie oft darüber hinweg getröstet, wenn Rudi wieder allzu garstig zu ihr war…

Das hölzerne Tor öffnete sich mit einem knarrenden Geräusch. Der neue Dobermann zog heftig an seiner Leine und Rudolf Hass hatte große Mühe, ihn trotz seiner Gehhilfen in Zaum zu halten. Vor ihm lag ein beschwerlicher Weg durch den Fichtenwald und es würde lange dauern, bis er Pollenbach erreicht hatte, um die neueste Ausgabe der „National-Zeitung“ zu bekommen.

Früher waren die Zeiten besser. Da verfügte er über einen herrlich schwarzen Mercedes mit eigenem Chauffeur. So etwas brauchte man, wenn man eilig von KZ zu KZ reisen musste, um das ausgebrochene Zahngold in verlässliche Obersturmbannführerhände zu nehmen. Später musste er leider das Fahrzeug selbst fahren, denn seinem Chauffeur war eine andere verantwortungsvolle Aufgabe in einem lehmigen Graben beim Volkssturm zugewiesen worden. Und als die Alliierten schließlich Deutschland besetzten, hat man ihm im Wege der Entnazifizierung den Führerschein abgenommen. Seitdem ging er zu Fuß. Aber sein politischer Wille war ungebrochen.

Rudolf Hass wusste, er hatte Feinde in Pollenbach. Da waren jene, die er den Jungzionisten zuordnete. Und da waren andere, die den Bolschewismus propagierten. Was hier tobte, war in Wahrheit ein Krieg – ein Krieg um die Zukunft Groß-Deutschlands. Und Kriege kosteten Opfer. Zu oft schon hatten ihn zwielichtige Gestalten eingeladen, Lampenschirme zu basteln. Lampenschirme, die warmes Licht in gemütliche Stuben zaubern – nur diesmal aus seiner Haut. Wer wollte es ihm da übelnehmen, wenn er sich bewaffnete?

Er liebte „Frieda“, seine alte Pistole 08. Ja, es war schwer, sie vor den Besatzern zu verstecken, aber er hatte es geschafft. Man musste doch verstehen, dass er eine Waffe nicht hergeben konnte, die ihm so treu bei der Beseitigung der zahlreichen Volksschädlinge gedient hatte. Zusammen mit dem neuen Dobermann würde er damit jedem Angriff trotzen. Und wenn er im heldenhaften Kampf für das kommende Reich nicht bestehen könne, würde Frieda ihm nach Art der alten Generäle mit einem feurigen Kuss die letzte Gnade erweisen…

Sein Dobermann zog heftig an der Leine. Hass würde ihm noch Deutsche Zucht und Ordnung beibringen müssen. Seine große Schnauze sah schon sehr bedrohlich aus, aber dass er sie bei jeder Gelegenheit bis hinten hin aufriss, war noch stark korrekturbedürftig. Auch seine Unarten, überall auf Wiesen und Wege zu kacken, an jede Hecke zu pinkeln und selbst Arier anzuknurren, musste Hass ihm noch abgewöhnen. Stiefellecken sollte er und Angst und Schrecken verbreiten, aber nur bei jenen, die anders aussahen oder anders dachten, als Hass und seine Reichspimpfe.

Nun, der Bursche war eben noch jung und hatte Temperament. Nur um seinen Intellekt war es recht schlecht bestellt. „Eine einzige Hirnzelle weniger und er grunzt“, hatte seine Grundschullehrerin immer gesagt. Sogar sein Bewährungshelfer glaubte, Kelvin Dobermann sei „eines der besten Argumente für Geburtenkontrolle“. Und selbst sein dunkelbrauner Pflichtverteidiger war insgeheim der Meinung, dass „Kelvin sicher unter dem Teppich Fallschirm springen könnte, wenn Dummheit nur klein machen würde.“

Eigentlich zählte Rudolf Hass auf solche Knaben. Wer sonst wäre bereit, sich von ihm willenlos herum kommandieren zu lassen? Und dann diese unschuldigen jungen Körper, die sich so warm unter seinen zärtlichen Händen anfühlten. Seine Reichspimpfe von der Ficking-Jugend wussten schon, warum sie ihn liebevoll mit „mein Fühler“ ansprachen…

Aber wäre Hass doch nur nicht dieser eine, unverzeihliche Fehler passiert: Als Zeichen seiner Dankbarkeit für eine rauschende Geburtstagsfeier hatte er seinem kleinen Dobermann ein brandneues goldenes Schippchen geschenkt. Am 20. April ging es auf dem Reichshof nun mal über Tische und Bänke. Und wer von den jungen Burschen schön mitmachte, hatte sich auch eine prächtige Anerkennung verdient. Schließlich konnte die danach ja drei Tage nicht mehr richtig sitzen…

Mit dem goldenen Schippchen sollte Kelvin bei der nächsten Wehrsportübung ein großes Loch für die Feldmarschall-Latrine graben. Gut, eigentlich handelte es sich dabei weniger um ein vergoldetes Grabwerkzeug. Eher traf die Bezeichnung „rostiger Klappspaten vom Grabbeltisch des Trödelmarktes“ zu. Aber immerhin war ein originaler Reichsadler darauf.

Und was machte dieser Volltrottel? Er fuhr im Morgengrauen eines herrlich Großdeutschen Sommertages auf das Camping-Gelände des Pollenbacher Gardenia-Sees und schlug damit auf die in ihrer Jurte dem Neu-Stalinismus entgegen schlummernden Bolschwiki ein. Nicht, dass Rudolf Hass etwas gegen die Gewalttat an sich gehabt hätte. Aber dieser versuchte Mord an arglosen, schlafenden Minderjährigen war aus seiner Sicht dilettantisch geplant und stümperhaft ausgeführt. In gewissen Kreisen sprach man schon von einer Schande für das ganze Reich.

Was blieb Rudolf Hass also übrig, als Kelvin Dobermann an die harte Kandare zu nehmen? Und nun zog er schon wieder an der Lederleine mit dem Stachelhalsband, als flanierten sie an der Uferpromenade von Stalingrad und gegenüber im granatenzerfledderten Wohnblock habe einer die weiße Fahne geschwenkt…

Als Hass und sein Dobermann schließlich den Fichtenwald verlassen hatten und zwischen den ersten verkommenen Fachwerkhäusern von Pollenbach eintauchten, riss sich die halsbandstrangulierte, keuchende Kreatur plötzlich los. Mit aufgerissenen Augen und fletschenden Maul schoss „es“ über die Straße und sprang geifernd und sabbernd an einer von Todesangst gezeichneten Passantin hoch.

„Haben Sie keine Angst, der tut Ihnen nichts! Der will doch nur spielen…“, rief Hass mit seinen moppeligen Ärmchen fuchtelnd der verängstigten Frau zu. Als er die Beiden erreicht hatte, holte er schwungvoll aus und schlug mit seiner Leine zweimal kräftig auf das Hinterteil des Dobermanns. Der jaulte und winselte, als sei ihm gerade die Rute kupiert worden. Dann kettete Hass ihn wieder an und zog ihn fort. Erleichterung spiegelte sich im Gesicht der verängstigen  Frau.

Nun musste er aber sehen, dass er fortkam. Noch mehr Aufsehen wollte er beim besten Willen nicht erregen. Und weitere Schlagzeilen in den zionistischen Schmierblättern Pollenbachs konnte er nicht im Geringsten gebrauchen. Doch gerade, als er um eine Straßenecke biegen wollte, winkte die Frau heftig, deute auf den Boden und rief: „Heh, Sie haben da was vergessen!“ Beim Obersalzberg – das Mistvieh hatte schon wieder auf den Gehweg gekackt. Ein weiteres Mal schlug er heftig mit der Leine zu. Wieder winselte das beklagenswerte Geschöpf, rollte sich über den Boden und nässte vor Demut unter sich.

Rudolf Hass wusste, er würde noch häufiger Hand anlegen müssen, bis er aus diesem ungehobelten Kretin einen kruppstahlharten Voll-Arier geformt hatte. Aber das, da war sich Hass sicher, würde er schon hin bekommen: Mit viel Geduld, tiefer Liebe und schneidiger deutscher Gründlichkeit…



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Ein Kommentar zu “Pollenbach: Der will doch nur spielen”

  1. Benedikt XVI

    Gratulation! Toller Kerl, dieser Hass. Bei uns kann der noch was werden!


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