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Pollenbach: Armee der Finsternis

Von Tobias Knopp

pollenbach-finsternis1Pollenbach. Endlich: Es ist wieder soweit: Ungeduld macht sich bereits in den verwitterten Kellern Pollenbachs breit. Das Klirren der Ketten, des ewige im Dunkeln hocken und in einer feuchten Ecke stoisch vor sich hin modern macht die Damen und Herren der Unterwelt bereits mürbe. Da hilft es auch nicht, zutiefst gelangweilt Spinnen an die Sandsteinwände zu drücken, zu beobachten, wie ihre kleinen Augen heraus quellen und schließlich ihre haarigen Unterleibe unter den hornigen Zeigefingerkuppen zerplatzen. Selbst das genüssliche Einschlürfen des nun sämigen Achtbeiners durch kariöse Zahnlücken verliert all zu schnell seinen Reiz.

Aber jetzt soll auch für jene Armee der Finsternis die dunkle, freudlose Zeit vorüber sein! Ach, wie beklagenswert doch diese blassen, totengleichen Geschöpfe sind. Das ganze Jahr über steigen sie in ihre finsteren Löcher hinab, um heimlich zu lachen. Dann aber, wenn die fünfte Jahreszeit heraufzieht wie der Vollmond für den lichtscheuen Vampir, kommen sie aus jedem Winkel gekrochen, singend, schunkelnd, saufend und behaupten, das Leben sei schön.

Eingekleidet in geschmacklos gestaltetes, prachtarmes Tuch, bemalt mit ranzig-fettigen Farben, bewaffnet mit lustlosem Konfetti und überlagerten Billigkamellen vagabundiert die Armee der Finsternis dann durch die Straßen. Welch’ köstliche Gelegenheit, all den Lebenden um den Hals zu fallen, ihnen den eigenen Schnapsodem ins Antlitz zu hauchen, einen heuchelnden Kuss auf die Wange zu pressen, dieses allein, um dem Virus der Spießigkeit einen neuen Wirt feil zu bieten (Anm. d. Verf.: Merkt man eigentlich, dass ich Karneval hasse?).

Nun, besuchen wir doch im Rahmen unserer heutigen Exkursion Ansgar Zickenbrecht, Vorsitzender, Kassenwart und Werkstattleiter des Faschingsvereins 1349 Pollenbach e.V. „Wissen Sie, ich bin ein Kind des Karnevals“, leitet Zickenbrecht unser Gespräch ein. „Und das kam so: Meine Eltern haben sich 1944 bei einem Faschingsumzug in Köln kennen gelernt. Ja, Mutti hat mir mal erzählt, sie seien beide mächtig betrunken gewesen und haben sich sofort bei ihrer ersten Begegnung gemeinsam in den Luftschutzbunker in der Helenenwallstrasse verdrückt. Neun Monate später war ich dann da.“

Und Zickenbrecht weiter: „Vom Umzug haben sie übrigens nichts groß verpasst. Damals hat der ja nicht den ganzen Tag gedauert, wie das heute so ist. Nee, eher so fünfzehn bis zwanzig Minuten. Die haben sich alle mit ihren schön geschmückten Wagen zum Zug aufgestellt und dann kam Fliegeralarm. Ja, da sind sie aber losgerannt. Sie wollten ja die ganze geplante Strecke schaffen, bis die Flugzeuge da sind. Die vier Kilometer, das war schon eine echte Herausforderung, denn Autos und Traktoren gab’s in ’44 nicht mehr. Da musste alles per Hand gezogen werden.

Die meisten Wagen sind an der ersten Kreuzung schon aus der Kurve geflogen. Und oben drauf standen oft welche, die haben wie wild Kamellen über die Bordwand geschaufelt, um den Ballast loszuwerden. Glauben Sie mir, wenn hinter ihnen 250-Kilo-Bomben runter kommen, haben sie es auf einmal mächtig eilig mit dem Frohsinn. Die Besatzung des letzten Umzugswagen wurde ja auch meistens vorher ausgelost, weil die in den seltensten Fällen das Ende des Umzugs erlebt hat“, so Zickenbrecht.

pollenbach-finsternis2„Wir haben damals schon gewusst: Dä Ami is ne fiese Möpp! Aber lustig war’s trotzdem. Wenn Sie mich jetzt aber fragen, wie der Pollenbachen Faschingsverein entstanden ist, muss ich beinahe passen. Fest steht nur, dass auch hier in der Region um 1349 übel die Pest wütete. Nun, die geschwürübersäten Kranken sahen aus, wie wandelnde Leichen und wüteten blindlings durch die Gassen. Doch plötzlich tauchte dieser komische Kerl mit seinem Taktstock und seinem witzigen Vogelkostüm auf. Da haben sich die Pollenbacher wohl gedacht: Wenn’s sonst nix zu lachen gibt, ziehen wir uns doch auch nett an und laufen einfach hinterher. So kam wohl der erste Umzug zustande.

Tja, und wenn Sie sich mal heute so umsehen: Rein optisch besteht ja zwischen den Kranken von damals und den Jecken von heute kein nennenswerter Unterschied. Aber sie sind weitaus weniger ansteckend. Zumindest was den Frohsinn angeht.“

Wenden wir uns aber an dieser Stelle dem Urvater der ganzjährigen Heiterkeit zu: Heinz Erhardt. Der wäre nämlich, wie die Presse verkündet, am 20. Februar 2009 einhundert Jahre alt geworden. Grund genug, den Stift zu zücken und ihm zu Ehren ein kurzes Gedicht zu schreiben:

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Spucke

(Tobias Knopp)
Wie schön ist so ein Aussichtsturm,
gern will ich ihn besteigen,
um meiner Liebsten aus der Höh’
die schöne Flur zu zeigen.
Schon klettern wir die Stufen hoch,
es rinnt der Schweiß in Bächen,
die Luft wird knapp, der Blutdruck steigt,
das Herz zeigt erste Schwächen.
Komm, weiter rauf und halt Dich fest!
Der Turm beginnt zu schwanken
(die Vöglein spotten im Geäst),
der Wind greift in die Flanken.
Und endlich oben angelangt
zieht Donner auf und Grollen.
Da sei die Frage doch erlaubt,
was wir wohl hier noch wollen?
Doch schön ist’s, wenn man Spucke sieht,
wie sie vom Turm aus erdwärts fliegt
und dann mit hoher Seitendrift
den ahnungslosen Wand’rer trifft.
Den Schnabel auf! Die Luft strömt ein,
komm, lass den Lenz gleich mit herein.
Sehr wichtig ist, dass man sich traut
und lungenmäßig Druck aufbaut!
Ein Bröckchen schießt aus meinem Hals,
ganz hinten von den Mandeln.
Da kann es sich, man glaubt es kaum,
wohl nur um Auswurf handeln.
Im hohen Bogen zieht es fort,
noch steht mein Rachen offen.
Von unten tönt’s: Du blöder Sack!
Wie schön,
ich hab’ getroffen…

Narhallamarsch!

*Foto 1+3: pixelio.de

**Foto 2: “Narhallamarsch!” Dieses Bild basiert auf dem Bild Pestarzt.jpg aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Paul Fürst (1656).



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