Pollenbach: Tagebuch eines Kleintierjägers oder immer Ärger mit Spooky
Von Tobias Knopp
Pollenbach. Sonntag, 1. März 2009, mittags: Liebes Tagebuch, Du ahnst es nicht! Gestern Abend, kurz nach den Lottozahlen, bin ich noch mal in die Küche gegangen, um eine zu rauchen. Gerade beim Ausdrücken der letzten Kippe klingelte es Sturm an unserer Haustür. Valerie und Heinzchen standen fast senkrecht im Bett und haben gleich lauthals angefangen zu heulen. Hedwig konnte mal wieder nicht aufmachen. Sie hat seit drei Wochen Dauerdurchfall und traut sich nicht mehr vom Klo runter. Gestern war sie beim Arzt. Der hat gefragt, ob sie Abführmittel nimmt. „Nein“, hat sie gesagt. Stimmt ja auch. Sie hat ja keine Ahnung, was ich ihr morgens so ins Müsli schmeiße. An der Arbeit nennen sie sie schon „Turbodarm-Hedi“, weil das Frühstücksbrötchen unverdaut in der Keramikschüssel landet…
Wo war ich jetzt eigentlich? Ach ja: Samstagabend stand Nachbar Meisenspeck vor der Tür. Seine Frau sei schwer gestürzt, ob ich wohl mal helfen könnte. Bin ich also raus gerannt und da lag sie: Nasenbein gebrochen, Zähne eingeschlagen und die Bluse zerrissen. Die gute Erna wollte noch mal schnell an die blaue Tonne, um das Altpapier rauszubringen.
Was glaubst Du, liebes Tagebuch, was dann passiert ist? Auf der Fußabtretermatte lag ein roter Kater, der sich den Platz für sein Abendnickerchen ausgesucht hat. Erna ist über ihn gestolpert und gleich vier Treppenstufen heruntergeflogen. Der Notarzt hat sie abgeholt. Seitdem liegt sie schwer – alles voller Schläuche…
Sonntag, 1. März 2009, nachmittags. Ich habe den roten Kater gesichtet und wollte ihn Hedwig zeigen. Ging nicht. Sie saß auf dem Klo. Zwischenzeitlich habe ich investigativ ermittelt. Der Kater zottelte über die Straße und verschwand in der Tür des Hauses Grützmüller. „Da bist Du ja, Spooky, mein Schatz“, trötete ihm die alte Wodka-Wachtel entgegen. Unglaublich! Die Säuferbrut hat ihren Köter bereits abgeschrieben und sich eine rote, haarende Dachratte zugelegt. Ich fasse es nicht. Werde heute Abend mal bei Nachbar Meisenspeck klingeln und mit ihm beratschlagen, was wir gegen das Mistvieh machen.
Montag, 2. März 2009, morgens: Liebes Tagebuch, Nachbar Meisenspeck war schon beim Anwalt. Der hat ihm gesagt, seine Frau müsse beweisen, dass sie über den Kater gestürzt sei, sonst gäbe es kein Schmerzensgeld. Wie soll sie das machen? Es war dunkel und außerdem gab es keine Zeugen. Meisenspeck ist tierisch sauer. Er hat gesagt, vor dem Unfall habe der Bandwurmkönig bereits mehrfach an seine Haustür gepisst. Es stinke erbärmlich und sei mit nichts wegzukriegen. Wir haben uns geeinigt: „Wir machen da was!“
Montag, 2. März 2009, mittags: Eben war ich in der Zoohandlung. Nach dem Verschwinden von Köter Bunny vor drei Wochen muss die Beseitigung von Spooky unbedingt wie ein Unfall aussehen. Deshalb habe ich mir einen Goldfisch besorgt und ihn in meiner Regentonne schwimmen lassen. Mal sehen, ob sich Spooky für ihn interessiert.
Montag, 2. März 2009, nachmittags: Die Pelzratte hat angebissen. Eben saß er auf dem Holzklotz neben der Regentonne, eine günstige Gelegenheit abwartend, sich den Goldfisch zu krallen. Gerade in dem Moment, als er seinen gierigen Hals ganz tief in das Fass gehalten hat, habe ich mich angeschlichen und ihn ein klein wenig geschubst. Platsch! Da lag er drin. Wild strampelnd und laut maunzend kämpfte er um sein kümmerliches Leben*.
Meisenspeck hat schnell eine Latte aus seiner Garage geholt und mehrmals kräftig drauf geschlagen. Das hat mächtig gespritzt aber kurz darauf war Ruhe im Wasser. Wir haben ihn einfach noch ein bisschen dortgelassen, weil er so schön friedlich aussah, mit seinen kleinen Pfötchen nach oben treibend. Wenn es heute Abend dunkel ist, hole ich ihn raus. Dann trinken wir einen Sekt.
Montag, 2. März 2009, abends: Liebes Tagebuch, du ahnst es nicht … den ganzen Nachmittag habe ich mich darauf gefreut, Spooky aus dem Fass zu ziehen. Aber als ich hinkam, war er weg! Mist, das darf doch nicht wahr sein! Wer könnte ihn geholt haben? Nachbar Meisenspeck vielleicht…? Manche sagen ja, der stünde auf Geschlechtsverkehr mit landwirtschaftlichen Nutztieren. Aber mit einer toten Katze? Ich weiß nicht…
Dienstag, 3. März, 2009, Morgengrauen: Ich habe schlecht geschlafen. Ständig meinte ich, im Halbschlaf Spooky maunzen zu hören. Vielleicht war es auch nur Hedwig, die im 30 Minuten-Takt ihren Enddarm umgekrempelt hat. Manchmal denke ich, dass ich solchen psychischen Belastungen nicht gewachsen bin. Ich bin sehr durcheinander. Was hatte ich heute eigentlich vor? Ach ja: Eine Klinikpackung Abführtabletten bei Doc Morris bestellen. Ich denke, das wird kein guter Tag.
Dienstag, 3. März, 2009, vormittags: Ach du dicke Scheiße! Ich habe Spooky gesehen!!! Er humpelte über die Straße wie der Glöckner von Notre Dame. Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Offensichtlich hat er sich durch Meisenspecks Schläge eine Schulterblattfraktur zugezogen. Ersoffen ist er jedenfalls nicht. Mann, Mann, Mann – wie werde ich bloß diese Landplage los? Da – seht Euch das an: Kann kaum auf seinen wackligen Stelzen stehen, pisst aber wieder an Meisenspecks Tür!!!
Dienstag, 3. März, 2009, mittags: Krisensitzung im Hause Meisenspeck. Es stinkt mal wieder erbärmlich nach Katerpisse. Nach langer Beratung haben wir uns darauf geeinigt, Spooky mit Starkstrom in seine Bestandteile zu zerstäuben. Gesagt, getan: Meisenspeck hat aus seiner Garage ein Kabel zur Haustür gezogen. Das haben wir schön aufgedrillt und zwei blanke Drähte mit ein paar Tesafilmstreifen an die Haustür geklebt.
Das Anschließen der Drähte an den Pluspol und die Masse war ganz einfach. Wenn er jetzt dran pinkelt, schließt sein Urinstrahl den Kontakt und stellt gleich noch die Verbindung zu seinem wurmstichigen Körperinneren her. Ich liebe es, mit Elektrotechnik zu experimentieren. Eigentlich müsste er aus dem Stand zwei Meter hoch springen. Wir werden sehen. Jedenfalls lege ich mich jetzt hinter dem Küchenfenster auf die Lauer.
Dienstag, 3. März, 2009, abends: Es ist fast dunkel. Mann, ich bin müde. Wann kommt das Lamm endlich zur Schlachtbank?
Mittwoch, 4. März, morgens: Liebes Tagebuch, du ahnst es nicht. Ich bin gegen acht auf der Fensterbank eingeschlafen. Irgendwann wurde ich durch einen grellen Lichtblitz und ein schrilles Heulen geweckt. Grützmüllers kamen sturzbesoffen aus ihrer Wodkabude gestolpert und mutmaßten, der Stern von Bethlehem sei wieder aufgetaucht. Und das ausgerechnet über Pollenbach. Diese Vollpfosten.
Mich hat das ganze übrigens eher an einen pyrotechnischen Billigeffekt erinnert. Aber ich sage ja auch immer: nicht die Optik zählt, sondern das, was unterm Strich rauskommt. Hätte ich das doch bloß bedacht, als ich Hedwig kennen gelernt habe. Jetzt ist es fast zu spät, aber immerhin kümmere ich mich ja bereits um das Problem. Na, egal. Morgen kommen die Abführtabletten von Doc Morris. Werde jetzt mal nachschauen gehen, ob ich in Meisenspecks Garten Reste des Himmelfahrts-Probanden finde.
Mittwoch, 4. März, mittags: Habe den ganzen Vormittag mit Meisenspeck gesucht. Viel gefunden haben wir von Spooky nicht: seine Zähne lagen im Vorgarten, und hinterm Haus wuselte seine versengte Rosette rhythmisch zuckend durch die Petersilie. Sah fast aus wie ein Aal, der nach dem Schlachten noch in der Pfanne hüpft. Das Versuchstier als solches blieb verschwunden. Aber wahrscheinlich war’s das jetzt mit ihm. Hoffentlich…
Donnerstag, 5. März 2009, vormittags: Liebes Tagebuch, Du ahnst es nicht. Eigentlich dachte ich, die Elektrofalle hätte Spooky den Rest gegeben. Weit gefehlt. Eben habe ich ihn durch die Gosse humpeln sehen. Sein Fell ist kohlrabenschwarz, in seinem Maul herrscht gähnend-blutige Leere und aus dem Arsch läuft ihm das Whiskas vom letzten Abendessen. Wie soll er das Zeug auch halten, so ganz ohne Schließmuskel? Nachbar Meisenspeck ist völlig aus dem Häuschen. Ich denke, ich muss die Sache jetzt alleine zu Ende bringen. Kommt nicht gleich der Lkw von der Müllabfuhr und wo sind eigentlich die alten Spielsachen von Heinzchen?
Donnerstag, 5. März 2009, immer noch vormittags: Liebes Tagebuch, gute Nachrichten: Spooky hat’s hinter sich. Yepp! Kurz bevor die Müllabfuhr kam, habe ich eine Spielzeugmaus aus Heinzchens Spielkiste geholt – so eine mit Federmechanismus, die schön losrennt, wenn man sie aufzieht. Spooky saß ganz friedlich am Straßenrand, als ahne er, dass seine Zeit abläuft. Ich habe ihm noch mal das geschundene Fell gekrault und ihm ein paar aufmunternde Worte mit auf seinen letzten Weg gegeben. Er hat sich sehr gefreut. Ich hätte Seelsorger werden sollen…
Als schließlich der Lastwagen der Müllabfuhr fast auf unserer Höhe war, habe ich die Spielzeugmaus über die Straße flitzen lassen. Trotz seiner erheblichen körperlichen Gebrechen konnte sich Spooky natürlich nicht bremsen, hinterher zu robben, das blöde Spatzenhirn. Fast hätte er die andere Straßenseite noch erreicht, aber das rechte Grobstollenprofil-Vorderrad des Lkw war schneller. Ja, liebes Tagebuch: 14 Tonnen Gewicht sind selbst für Spooky zu viel.
Das er aber nun ausgerechnet zwischen das Rad und einen Gullydeckel geraten ist, nenne ich schon eine „echte Fügung des Schicksals“. Der hohe Druck des Gewichtes hat ihn jedenfalls gleich durch die langen Schlitze des Deckels gepresst, wie ein hydraulischer Eierschneider. Schöne Sauerei, sage ich Dir. Der Fahrer hat nichts bemerkt und ist weitergefahren. Übrigens: Ein Putzeimer war voll Wasser ausreichend, um die Reste von Spooky in die Kanalisation zu spülen. Die Ratten schnallen sich sicher bereits ihre Servietten um. Ja, ja: des Einen Freud, des Anderen Leid. So ist das Leben, so ist der Tod.
Freitag, 6. März 2009, früher Nachmittag: Grützmüllers rennen durch die Gegend und suchen Spooky. Morgen wollen sie überall Zettel mit seinem Foto aufhängen, haben sie zu mir gesagt. Ob ich ihnen wohl dabei helfen könnte? Klar doch, mach ich gerne. Aber sei nicht böse, liebes Tagebuch. Du weißt doch: Wer Nachbarn hat, braucht keine Feinde…
*Ylva: Danke für den Tipp, mein kleiner Glückskeks!