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Steile Sätze, gesellschaftlicher Skandal

Fünftes Forum Diakonische Kirche mit gut 120 Gästen in Hephata

hephata_090502aSchwalmstadt-Treysa. „Armut fordert heraus – neue Formen der Teilhabe in Gemeinden, Einrichtungen und Gesellschaft“, so lautete das Motto des Fünften Forums Diakonische Kirche am 24. April in der Hephata Kirche. Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, das Diakonische Werk in Kurhessen-Waldeck, die Evangelische Fachhochschule Darmstadt und Hephata Diakonie traten dabei als Veranstaltergemeinschaft auf.

Eine Arbeitstagung sollte es werden. Eine Arbeitstagung, um „Projekte, Teilhabemöglichkeiten zu schaffen, Grenzen abzubauen, die die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich in unserer Gesellschaft aufrichten“, so Hephata Direktorin Pfarrerin Barbara Eschen zu Beginn der Veranstaltung. Den empirischen Hintergrund dazu lieferte Gastreferentin Prof. Dr. Claudia Schulz, Evangelische Fachhochschule Ludwigsburg. Sie stellte die Ergebnisse ihrer empirischen Studie „Ausgegrenzt und abgefunden. Innenansichten der Armut“ vor, die sie anhand von Bewohnerbefragungen im Hamburger Brennpunktviertel Wilhelmsburg erstellt hat. Dabei beschäftigte sie die Armut primär als Problem der Teilhabe: Wie geht es den Betroffenen? Wie gestaltet sich die Welt aus ihrer Perspektive? Die Antworten darauf bündelte Schulz in drei zentralen Thesen: „Armut heißt ein Leben ohne Anspruch auf Raum. Armut heißt ein Leben ohne Perspektiven. Armut heißt ein Leben ohne Gestaltungsmöglichkeiten“.

Armut heißt, …
Armut heißt, ein Leben ohne Anspruch auf Raum. Als Beispiel führte Schulz eine Gruppe älterer Frauen an. Diese seien selbst bedürftig und Nutzerinnen einer Tafel, bereiten für andere Bedürftige aber ehrenamtlich in den Räumen der Kirchengemeiden ein Frühstück zu. „Dadurch bekommen sie die Möglichkeit, als Gastgeberinnen aufzutreten, einen öffentlichen Raum selbst zu gestalten und zu nutzen.“ Ansonsten blieben die Frauen zu Hause, da sie nach eigenem Empfinden auch nur dort das Recht dazu hätten. „Um sich in öffentlichen Räumen zu bewegen, braucht man eben oftmals Geld.“

Armut heißt ein Leben ohne Perspektiven. Die Erwachsenen, die in Armut leben, hätten für sich oftmals den Glauben daran, dass sich an ihrer Situation etwas ändern könnte, verloren. Hingegen pochten sie bei ihren Kindern auf eine gute Schulausbildung, um diesen ein besseres Leben ermöglich zu können. „Der Glaube an den Sinn von persönlicher Weiterentwicklung und Bildung ist nicht gerecht verteilt. Das funktioniert viel subtiler als ungerecht verteilte Bildungszugänge“, sagte Schulz. So käme es auch dazu, dass von Armut Betroffene Träume mit Grundrechten verwechselten. Auf die Frage, was passieren sollte, wenn ein Wunder geschehen könne, gaben die Befragten an: Geld für die Neurodermitiscreme der Tochter oder eine regenfeste Wohnung.

Armut heißt ein Leben ohne Gestaltungsmöglichkeiten. Hier müssten sich alle Menschen die Frage stellten: Was helfen wir, was gleichzeitig zum Schaden führt? „Jeder Tag, an dem ich Suppe ausgebe, hindere ich die Menschen daran, ihr Leben selbst zu organisieren“, so Schulz. „Ein steiler Satz, ich weiß, aber er gehört in diesen Kontext.“ In der Studie sei deutlich geworden, dass oftmals schon allein der Gedanke an eine Besserung verboten sei. Antriebslosigkeit und Negativdenken dominierten die Betroffenen indes immens.

Was geht uns das an?
„Wir können das Leid anderer nicht akzeptieren. Wir akzeptieren nicht den Glauben daran, dass es keine Hoffnung gibt. Und wir akzeptieren nicht, dass Menschenrechte mit Wundern gleichgesetzt werden“, gab Schulz die Antwort darauf, was Armut die Kirche angeht. Ganz konkret: „Es ist auch nicht akzeptabel, dass sich in den Tafelläden Parallelwelten zum Supermarkt bilden. Dadurch wird eine Abwärtsbewegung unterstützt und Kleidergeld nur noch in Höhe des Secondhand-Preises gewährt.“ Außerdem und vor allem müsse die Unsichtbarkeit der Armut bekämpft werden. Beispielsweise dadurch, dass Mitglieder einer Kirchengemeinde von Armut Betroffene bei der Antragsstellung von Hartz IV begleiteten.

Diese und andere Lösungsansätze wurden im anschließenden Ideen-Café diskutiert. Dieses wurde von Martina Jakubek, Diplom-Supervisorin, Amt für Gemeindedienst der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, moderiert. Ideen- und Erfahrungsaustausch standen hierbei im Vordergrund. Fertige Konzepte, wie mit Armut umgegangen und gesellschaftlich ausgegrenzte Menschen integriert werden können, gibt es nicht. Trotzdem müssen sie möglichst schnell entwickelt werden. Denn, so hatte es im Faltblatt der Tagung gestanden: „Die zunehmende Armut in Deutschland und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sind ein gesellschaftlicher Skandal, dem es auf allen Ebenen entgegen zu wirken gilt.“ (me)