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IG Metall will psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz zum Thema machen

Kassel. Wenn über Gefährdungen am Arbeitsplatz gesprochen wird, denkt man zunächst an mögliche Unfälle: Stürze, Verbrennungen, Quetschungen – all das kann im Fertigungsbereich der Metall- und Elektroindustrie passieren. Anders ist es bei den Angestellten. Sie arbeiten nicht an Maschinen, sondern im Büro. „Ein Teil der Gesundheitsgefährdungen für diese Kolleginnen und Kollegen ist schwer messbar“, sagt Elke Volkmann von der IG Metall Nordhessen. Aus einem einfachen Grund: Angestellte erkranken vorwiegend an der Seele, und das geschieht immer häufiger.

Erfolgreiche Veranstaltung: Einfach nicht hart genug?
Unter dem zugespitzten Titel „Arbeiten bis zum Burnout – oder bist Du einfach nur nicht hart genug?“ lud die Metallgewerkschaft deshalb Angestellte zu einem Informationsabend ein – und war selbst überrascht vom Erfolg der Veranstaltung. „Der Saal im DGB-Haus in Kassel war gerappelt voll“, berichtet Elke Volkmann. „Wir haben ein wichtiges und brisantes Thema aufgegriffen.“ Die Gewerkschaft will nun dafür sorgen, dass Betriebsräte und Vertrauensleute das Thema in die Betriebe tragen und für Verbesserungen eintreten.

Im Fokus ist dabei etwa die Personalbemessung. „Viele Angestellte arbeiten heute in Projekten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen sein müssen“, sagt Volkmann. Wenn den Projekten dann zu wenig Personal zugeordnet werde, führe das automatisch zu ausufernden Arbeitszeiten und einem starken Druck auf die beteiligten Angestellten. „Das Thema ist komplex, der Info-Abend war da nur ein erster Aufschlag“, sagt die Gewerkschafterin.

Dieser Aufschlag wurde von zwei Referenten um wichtige Kenntnisse und Einschätzungen bereichert. Iris Becker von der Vorstandsverwaltung der IG Metall und der Leiter des Gesundheitswesens im Volkswagenwerk Baunatal, Prof. Reinhard Nöring, versorgten die Teilnehmer mit Fakten und Tipps. „Die große Mehrheit der Beschäftigten berichtet, dass der Druck auf sie seit dem Beginn der Wirtschaftskrise zugenommen hat“, sagte Becker. Psychische Beschwerden äußern sich nach ihrer Einschätzung häufig zunächst über körperliche Symptome wie Rücken- oder Kopfschmerzen, aber auch über Angstzustände und Depressionen.

Arbeitswelt ist eine Gefahrenzone – auch für die Psyche
„Die Arbeitswelt der Angestellten ist eine Gefahrenzone“, stellte die Gewerkschafterin fest. Zwar verlange das Arbeitsschutzgesetz, dass alle Arbeitsplätze auf Gefährdungen hin untersucht werden. „Das geschieht aber nur in 40 Prozent der Fälle, und nur in 18 Prozent der Fälle wird auch die psychische Belastung in die Beurteilung einbezogen“. Mithin gebe es hier dringenden Nachholbedarf. Im Fokus seien dabei ganz unterschiedliche Faktoren. „Das geht von der Gestaltung des Büroraums über Lage und Dauer der Arbeitszeit bis hin zum Klima zwischen Kollegen und dem Verhalten von Vorgesetzten“, sagte Becker. Von einem genaueren Hinsehen und einer besseren Prävention würden nach Beckers Worten sowohl die Beschäftigten als auch die Firmen profitieren. „Denn die Gesundheit im Betrieb ist das wichtigste Kapital.“

Dass psychische Erkrankungen und Burnout keine Erfindungen sondern Realität sind, bestätigte der Leiter des Gesundheitswesens im Volkswagenwerk Baunatal, Professor Reinhard Nöring. „Ich arbeite seit 25 Jahren im Werk. Am Anfang habe ich diese Erkrankungen nicht gesehen, heute aber sehe ich sie“, sagte er. Burnout trete vor allem bei hochmotivierten Arbeitnehmern auf. So habe der Druck, jederzeit erreichbar zu sein, deutlich zugenommen. „E-Mails um 2 Uhr nachts am Wochenende – das gibt es“, sagte Nöring. Zugleich betonte er, dass auch Mehrfachbelastungen im privaten Leben und die Nichtbewältigung von privaten Herausforderungen Schrittmacher der Erkrankung sein könnten. Zudem sei nicht jede Belastung, die eine Arbeit mit sich bringe, negativ. „Es kommt darauf an, die gesunde von der ungesunden Belastung zu unterscheiden.“

„Thema gehört auf die Tagesordnung“
Genau das will auch die IG Metall erreichen. „Wir werden das Thema jetzt intensiv in die Angestelltenbereiche der von uns betreuten Betriebe einbringen“, sagt Elke Volkmann. Das Thema müsse enttabuisiert werden und künftig wie jede andere Gefährdung im Betrieb auch ganz selbstverständlich auf die Tagesordnung kommen. (red)