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Deutschlands Rolle in Europa – Hegemonie oder Gefolgschaft?

Prof. Dr. Gunther Hellmann trägt vor. Foto: Reinhold HockeFritzlar/Schwalm-Eder. „Quatro Reich“ – Wie Deutschland die Finanzkrise nutzt, um Europa zu erobern! – Ein Zeitungsbericht im Nachbarland Italien bringt die Sorge  der Herrschaft eines „Vierten Reichs“ auf den Punkt. Die Gäste der Gesellschaft für Wehrkunde, Sektion Fritzlar, füllten Anfang Mai den Saal des Soldatenheims „Haus an der Eder“. Nur wenige Stühle blieben frei. Das Thema war hoch aktuell:  „Deutschlands Rolle in Europa – Hegemonie oder Gefolgschaft?“

Gleich zu Beginn seines Vortrages gelang es Prof. Dr. Gunther Hellmann von der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe Universität klar zu machen, dass die nicht nur aus jener italienischen Zeitung  bekannten Befürchtungen und Ängste irrig sind. Er führte aus, dass Deutschland derzeit und auf absehbare Zeit keine hegemonialen Ambitionen habe. Selbst wenn Deutschland hegemoniale Ansprüche entwickeln sollte, werden diese durch institutionelle Verfahren in der EU verhindert. Weiterhin würde jeder hegemoniale Anspruch in Europa aufgrund historischer Erfahrungen auch jenseits institutioneller Verfahren die klassische Bildung einer Gegenmacht heraufbeschwören.

Als namhafter Politologe verwies der Referent auf verschiedene Indikatoren der Macht. Bei den Militärausgaben rangiere Deutschland unter den Top 15 weltweit hinter Frankreich und Großbritannien auf Platz sieben. In der Bewertung der wirtschaftlichen Lage ihres Landes seinen die  Deutschen laut PEW Research Center die Einzigen in der EU, die Ihre wirtschaftliche Lage im Vergleich zu 2007 (63%) im Jahre 2013 (75%) deutlich positiver bewerteten. Dagegen sei beispielsweise die Einschätzung ihrer eigenen Wirtschaftsleistungen durch die Spanier von 2007 (65% positiv) auf vier Prozent in 2013 (-61% negativ) gefallen.

Als weitere Indikatoren nannte Hellmann unter anderem die Eischätzung von Deutschlands positivem Einfluss in der Welt (BBC World Service Opinion Poll 2013) und die Einschätzung Deutschlands als vertrauenswürdig, aber auch „arrogant“ und „mitfühlend“. Deutschland wird demnach von der großen Mehrzahl von EU-Ländern als „sehr vertrauenswürdig“ eingeschätzt.

Diskussion nach der Veranstaltung: Oberst a.D. Hans-Joachim Feih (Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik e.V (GfW), Vorsitzender Sektion Fritzlar, Prof. Dr. Gunther Hellmann, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/Main (Referent), Oliver Rudolph (Gast). Foto: Reinhold HockeAus den vorliegenden Forschungsergebnissen zog Professor Hellmann drei Schlussfolgerungen: Deutschland sei eine aufsteigende Macht im Europa (EU) aber mit neuem Selbstverständnis. Er nannte den Begriff „Gestaltungsmacht“. Ökonomisch habe Deutschland in Europa und in der EU derzeit die Rolle einer Zentralmacht. Unser Land zehre von einem beträchtlichen Vertrauenskapital der alten Bundesrepublik. Wirtschaftlicher Erfolg sei allerdings vergänglich und vor allem „keine taugliche Währung, wenn alte Großmächte wie zum Beispiel Russland auf die militärische Karte setzen“.

Die außenpolitische Strategie Deutschlands machte der Politologe an drei Kernfragen fest, die sich aus dem  Selbstverständnis („Wer sind wir als Deutsche?“), künftigen Ambitionen („Wer wollen wir in Zukunft sein?“) und der Entwicklung des Umfeldes  (Zwänge und Wahlmöglichkeiten, Gefahren und Chancen).

Im zweiten Teil seiner Ausführungen behandelte der Professor den Ukraine-Konflikt. Er ging auf die Ergebnisse des ARD Deutschland TREND vom Mai 2014 ein. Demnach sprach sich eine große Mehrheit der Befragten dafür aus, dass Deutschland im Ukraine-Konflikt fest an der Seite der USA und der westlichen Bündnispartner stehen müsse. 59 Prozent waren der Meinung, Deutschland solle eine führende Vermittlerrolle in diesem Konflikt übernehmen. 42 Prozent befürworteten ein Einschränkung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. 35 Prozent der Befragten meinten, Deutschland solle mehr Verständnis für die Position Russlands aufbringen.

Selbstbehauptung und Selbstbeschränkung erfordere auch unter geänderten Rahmenbedingungen wie eh und je engste Abstimmung mir den betroffenen Partnern. In seinen Schlussfolgerungen wiederholte Hellmann die Zwänge und Gefahren des deutschen Handelns. Dazu rechnet er die „Ambivalenz der deutschen Führung (Viertes Reich) sowie eine „mangelnde Unterstützung in der deutschen Öffentlichkeit“ für „frühere, entschiedenere und Substantiellere Einmischung“, wie sie von Bundespräsident Joachim Gauck und Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der Münchener Sicherheitskonferenz 2014 gefordert wurden. Als weitere Gefahr wurde genannt, dass Vertrauen schnell verspielt werde, wenn Deutschland Lösungen auf Kosten von Verbündeten in der EU und in der NATO anstrebt.

In der anschließenden Diskussion gab der Referent seine Sicht und Bewertung zu ergänzenden Fragen zum Geschehen in der Ukraine und der Rolle Moskaus.

Zur Person: Prof. Dr. Gunther Hellmann ist ein namhafter Politologe. Geboren 1960, studierte er nach Abitur und Wehrdienst  Politikwissenschaften, Geschichte und Philosophie in Freiburg, München und Washington D.C.,(USA). Danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin, dort auch Promotion. Assistent an der TU Darmstadt, 1989 Professur für Politikwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt, Leiter der Fachgruppe bei der hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, Mitherausgeber der Zeitschrift für internationale Beziehungen. Forschungsschwerpunkt deutsche Außenpolitik und europäische Sicherheitsbeziehungen. (rho)