Startseite

Ihre Werbung hier!

SEK-News ist die unabhängige Online-Zeitung für den Schwalm-Eder-Kreis. Täglich neu und kostenlos.

Nicht aus der Welt fallen

80 Teilnehmer beim 9. Forum Diakonische Kirche in der Hephata-Kirche

diakonisches-forum140526Schwalmstadt-Treysa. „Hurra, wir werden älter!? – Gemeinwesen gemeinsam gestalten“, so lautete der Titel des 9. Forums Diakonische Kirche, das am vergangenen Freitag im Kirchsaal der Hephata Diakonie in Schwalmstadt-Treysa stattfand. 80 Teilnehmer aus ganz Deutschland waren gekommen, um in Vortag, Podiumsdiskussion und Arbeitsgruppen die Bedeutungen und Herausforderungen des demografischen Wandels zu diskutieren. Hephata-Direktor Pfarrer Maik Dietrich-Gibhardt ging in seiner Begrüßung auf die Ambivalenz ein, die der Veranstaltungstitel verdeutlichte: „Ein Ausrufezeichen und ein Fragezeichen stehen hinter ,Hurra, wir werden älter“.“ Dies verleihe zum einen der Freude über eine steigende Lebenserwartung Ausdruck. Zugleich verbinde sich damit jedoch auch die Frage nach den Rahmenbedingungen des Älterwerdens, nach Wohnformen, Pflege und Finanzierung.

Dies war auch Thema des Vortrags von Prof. Dr. Andreas Kruse, Direktor des Instituts für Gerontologie an der Ruprechts-Karls-Universität Heidelberg. „Die durchschnittliche Lebenserwartung wird in den nächsten Jahren zunehmen. Aber kommen wir auch anthropologisch beziehungsweise ethisch hinterher?“ Die Herausforderung sei es, die gewonnenen Jahre so auszugestalten, dass Menschen sie geistig, seelisch und sozial auch als Gewinn betrachteten. Kruse stellte seinen Vortrag unter drei Begriffe: Die Verletzlichkeit, die Sorge und die Entwicklungspotentiale im Alter.

Die Chance auf ein höheres Lebensalter trage in sich auch Konfrontation mit der Verletzlichkeit der menschlichen Existenz. Die Vorstellung, man werde 85, 90 Jahre alt und wach dann eines Morgens nicht mehr auf, sei zwar schön, aber nicht unbedingt Realität. „Unsere Vorstellung des hohen Lebensalters ist noch nicht stark entwickelt. Was bedeutet es für mein Verständnis von Leben, dass die Pflegebedürftigkeit einen immer höheren Stellenwert einnehmen wird? Und wie gestalten wir diese Phase des Lebens?“, fragte Kruse. Neben bemerkenswerten Kräften und Potentialen, die das Alter berge, bringe es eben auch eine Verletzlichkeit mit sich, mit der ethisch und fachlich sorgsam umgegangen werden müsse.

andreas-kruse140526Das zweite Stichwort, die Sorge im Alter, unterlegte Kruse mit den Ergebnissen einer Untersuchung seines Institutes mit 400 Menschen zwischen 85 und 98 Jahren. Die zentrale Frage der Untersuchung lautete: Was ist es, was Euch im hohen Alter besonders interessiert und bewegt?“ Als Arbeitshypothese seien Antworten wie gute Pflege, gute medizinische Versorgung oder Angst vor der Vereinsamung angenommen worden. Das entscheidende Thema sei dann jedoch die Sorge für und um die jüngeren Generationen gewesen. Fragen wie: „Kann ich jemanden meine Zeit, meine emotionale und kognitive Anteilnahme, vielleicht auch finanzielle, schenken?“ Und: „Kann ich mit den jüngeren Generationen reden?“, beschäftigten viele alte Menschen, zeitgleich aber auch die Angst davor, dass die nachfolgenden Generationen daran gar kein Interesse haben könnten, so Kruse. Er zitierte dabei einen alten Menschen: „Wenn Du das nicht mehr hast, bist Du aus der Welt gefallen.“ Der Gesellschaft stelle sich damit also die Aufgabe, den öffentlichen Raum so zu gestalten, dass ein gegenseitiger Austausch und die Integration der Generationen möglich seien.

Das dritte Schlagwort waren die Entwicklungspotentiale im Alter. Die würden oftmals in dem Wunsch, sich für andere Menschen einsetzen zu wollen, einer zunehmenden differenzierten Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit und einer Offenheit für andere Menschen, mit der Fokus: Was kannst Du weitergeben? Deutlich.

Dem einstündigen Vortrag von Prof. Kruse schloss ich eine Podiumsdiskussion mit ihm, Landeskirchenrat Horst Rühl, Helga Engelke, Stellvertretende Vorsitzende der Landesseniorenvertretung, Stephan G. Reuß, Landrat Werra-Meißner-Kreis, und Moderator Prof. Dr. Werner Vogel, Chefarzt des Evangelischen Krankenhauses Gesundbrunnen in Hofgeismar, an. Landeskirchenrat Horst Rühl, Theologischer Vorstand der Diakonie Hessen, sagte: „Altwerden ist etwas Schönes, ich habe mit jedem Jahr einen Erfahrungsschatz dazu gewonnen.“ Er mahnte: „Menschen, die jetzt der Pflege und Hilfe bedürfen, sind ein Spiegel unseres Seins.“ Rühl sprach sich für ein multifunktionales Angebot der Pflege, also für Betreutes Wohnen, Tagespflege, ambulante Pflege und stationäre Pflege, und deren gerechte Entlohnung aus. „Wir müssen weg von diesem: Setzt die Pflege auf den Markt, der wird das schon regeln.“

Stephan G. Reuß ist Landrat im Kreis mit dem höchsten Durchschnittsalter und den meisten Abwanderungen in Hessen. Er berichtete: „Wir versuchen die Infrastruktur aufrecht zu erhalten, die gerade im ländlichen Raum für ältere Menschen wichtig ist“, so Reuß. Dazu gehörten unter anderem zwei Lehrgänge des Kreises im Jahr für ehrenamtliche Seniorenbegleiter. Die Unterstützung von neuen Wohnformen, damit ältere Menschen nicht in die nächste Stadt in ein Seniorenheim ziehen müssten. Aber auch ein Wellnesstag des Kreises für pflegende Angehörige, an denen der Kreis die Pflege mittels ambulanten Pflegediensten übernehme und den pflegenden Angehörigen einen Tag mit Informationen und Entspannung schenke. Reuß regte an, das Förderprogramm der Dorferneuerung anders als bislang zu nutzen, beispielsweise für altersgerechtes Bauen und den Abbau von Barrieren. Helga Engelke fasste zusammen: „Wir müssen wieder anfangen, mit den Generationen vor und nach uns zusammenzuleben und  -zureden.“ Anschließend wurden die Inhalte der Podiumsdiskussion in  sieben Arbeitsgruppen und einem Plenum vertieft. (me)

Zur Person:
Prof. Dr. Andreas Kruse studierte Psychologie im Hauptfach und in den Nebenfächern Musik, Philosophie und Psychopathologie an den Universitäten Aachen und Bonn sowie an der Hochschule für Musik in Köln. Er ist unter anderem Mitglied der Altenberichtskommissionen der Bundesregierung und war Mitglied der zwölfköpfigen Expertenkommission des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zur Erstellung des Weltaltenplans. Kruse ist Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande und Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.



Tags: , , , , ,


Ähnliche Beiträge

Bisher keine Kommentare


Einen Kommentar schreiben

© 2006-2024 SEK-News • Powered by WordPress & Web, PR & Marketing• Theme by: BlogPimp/Appelt MediendesignBeiträge (RSS)Kommentare (RSS)ImpressumDatenschutzAGB