Staffelmeisterschaften: MT-Leichtathleten holen Gold
Wehrheim/Melsungen. Obwohl die Temperaturen nicht gerade junimäßig waren, bereiteten die 588 Leichtathleten aus 69 hessischen Vereinen den zahlreichen Zuschauern, die bei den Landes-Staffelmeisterschaften in Wehrheim auf der Sportanlage „Am Oberloh“ an der Barriere standen, durch ihre sehr guten Leistungen große Freude. Neben vielen hochklassigen Ergebnissen sind aus heimischer Sicht auch die sehr guten Staffelresultate der Melsunger Jugendlichen zu nennen. Es begann mit der 3x1000m-Staffel der U18. Das MT-Trio hatte als Sieger bei den Schwalm-Eder-Meisterschaften mit 9:00,3 Minuten eine Zeit vorgelegt, die bei den Landestitelkämpfen nur zum letzten Platz gereicht hätte. Startläufer Christian Schulz, der in Melsungen seine 1000m-Bestzeit von 3:03,5 auf 2:51,0 Minuten pulverisierte, zeigte sich in Wehrheim erneut verbessert. 300 Meter hielt er sich in der Mitte des Feldes auf, um anschließend das Rennen zu bestimmen. Nach 500 Metern wurden für ihn 81 Sekunden notiert, so dass eine Endzeit unter 2:45 Minuten zu erwarten war.
Sowohl Jonas Uster von der LG Odenwald, der Jugendmeister über 2000m-Hindernis, als auch Felix Heine vom TV Rendel, der die 800 Meter unter 2:05 Minuten laufen kann, hatten gegen Christian an diesem Tag keine Chance. Wie ein Uhrwerk drehte der Jugendliche aus Röhrenfurth seine zweieinhalb Runden und reichte mit einem deutlichen Vorsprung nach 2:44,8 Minuten den Stab an Aaron Werkmeister weiter. Dieser hatte beim Titelgewinn in Melsungen seine Teilstrecke in 3:05 Minuten zurückgelegt. In Wehrheim wurde er von Florian Hofer (TV Rendel), der in Koblenz unter zwei Minuten blieb, zu einem schnellen Tempo getrieben. Aaron lief die erste Runde in 68 Sekunden und hatte als 800m-Zwischenzeit 2:17 Minuten vorzuweisen. Auf der Zielgeraden legte er noch einen beeindruckenden Schlusssport hin, so dass er nach 2:53,7 Minuten auf Schlussläufer Lorenz Funck wechseln konnte. Hinter Rendel und der Startgemeinschaft Niederelsungen/Hess. Lichtenau lag das Melsunger Trio auf Rang drei. Da Lorenz Funck die Lücke zu den beiden führenden Teams schließen wollte, legte er zu Beginn ein mörderisches Tempo vor und lief die erste Runde unter 67 Sekunden. Josua Becker, der Schlussläufer der LG Eintracht Frankfurt, der zu den besten Schülern in Hessen gehört und in diesem Jahr über 800 Meter mit 2:04 Minuten und über 3000 Meter mit 9:36 Minuten in den Bestenliste geführt wird, setzte 300 Meter vor dem Ziel zum Schlussangriff an und übeholte das Melsunger Langstrecken-Talent. Lorenz Funck zeigte wie seine beiden Trainingspartner eine tolle Leistung und verbesserte seinen Hausrekord über 1000 Meter von 3:04 auf 2:54,7 Minuten und sicherte dem MT-Trio nach 8:33,39 Minuten den unerwarteten vierten Platz. Mit dieser Zeit hätten die drei MT-Mittelstreckler Rang 25 in der deutschen Bestenliste belegt. Zieht man die Startgemeinschaften (Auswahlmannschaften von verschiedenen Vereinen) sowie die Leichtathletikgemeischaften ab, wäre Platz zwölf herausgekommen.
Kurze Zeit später traten die Melsunger Viertelmeiler in Aktion. Alwin Wagner hatte einen 400m-Schnitt von 55 Sekunden vorgegeben, so dass am Ende eine Zeit knapp unter 3:40 Minuten und Rang fünf herausgekommen wäre. Aber Meisterschaftsläufe haben manchmal auch ihre eingenen Gesetze. Außerdem erfolgte der Trainings- und Leistungsaufbau so, dass die Wettkampfkurve aller zehn Melunger Starter ihren ersten Höhepunkt in Wehrheim erreichen sollte. Das Zusammentreffen der besten hessischen Lauftalente tat ein Übriges.
Als Startläufer lief Michael Hiob auf Bahn fünf stark an und hatte selbst noch auf der Zielgeraden genügend Kraft, um als Zweiter hinter 48-Sekundenläufer J. Rösler aus Schlüchtern, den Stab nach 52,8 Sekunden anTobias Stang weiterzureichen. Michael, der wegen einer Erkältung einige Tage nicht trainieren konnte, war schneller als David Feldhinkel (Wehrheim), der die Stadionrunde vor einigen Tagen in 51,68 Sekunden gelaufen war. Auch Tobias Stang war auf den Punkt topfit und demonstrierte seine Klasse auf der Sprintlangstrecke. In Eschwege war er zu Beginn der Saison 54,54 Sekunden gelaufen. Bei den Landestitelkämpfen zeigte er keinen Respekt vor großen Namen und pulverisierte seinen Hausrekord auf 52,7 Sekunden.
Dennis Horn, der nordhessische Doppelmeister im Sprint über 100 und 200 Meter, hatte sich für das MT-Quarttet in einem internen Ausscheidungsrennen mit einer 55er Zeit qualifiziert. Natürlich fehlte ihm die Erfahrung, so dass er die ersten 200 Meter zu schnell anlief. Aber der angehende Sportstudent biss sich wacker durch und kämpfte bis zur Stabübergabe an Jan Ullrich. Mit 55,2 Sekunden hatte er einen großartigen Einstand auch auf der 400m-Strecke, so dass man auch von ihm schon bald Zeiten unter 54 Sekunden erwarten kann.
Wehrheim-Herborn und Schlüchtern hatten sich deutlich abgesetzt, aber das MT-Quarttet lag immer noch überraschend auf Rang drei. Dominik Hofmann, ein 23-Sekunden-Sprinter über 200 Meter und Schlussläufer der zweiten Mannschaft der Startgemeinschaft Wehrheim, ging nach der Stabübernahme sofort zum Angriff über und rückte Jan Ullrich immer näher. Aber dieser wuchs als MT-Schlussläufer über sich hinaus und lief ein ausgezeichnetes, ein summa-cum-laude-Rennen. Als er von Hofmann im Scheitelpunkt der letzten Kurve fast eingeholt wurde, pararierte er diesen Angriff mit letzter Kraft und nahm dem Wehrheimer Langsprinter den Mut, weitere Aktionen gegen ihn zu starten. Noch im Vorjahr blieb Jan beim Lauf über die Stadionrunde über 60 Sekunden. Bei der Bahneröffnung in Eschwege verbesserte er sich auf 58,73 Sekunden, und in Wehrheim machte er sein bisheriges Meisterstück: Der 17-Jährige kam nach 54,6 Sekunden ins Ziel. Mit dieser glänzenden Vorstellung rettete er seiner Mannschaft nach 3:35,46 Minuten die Bronzemedaille. Die zweite Mannschaft der StG Herborn-Wehrheim belegte mit 3:35,82 Minuten den vierten Rang. Ein weiteren Platz dahinter retteten sich die Läufer der LG Bad Soden-Sulzbach-Neuenhain (3:41,76) auf Rang fünf vor der LG Wetzlar (3:48,97).
Zum Abschluss kam der Höhepunkt aus Melsunger Sicht. Höchste Spannung lag auf der Sportanlage „Am Oberloh“, als die 4x400m-Staffeln der weiblichen Jugend der U20 gestartet wurde. Es sollte einen Zweikampf zwischen der Startgemeinschaft Bad Soden, Sulzbach und Neuhain gegen die vier Teenager von der MT Melsungen geben. Für die Startgemeinschaft hatte man eine Zeit um 4:13 Minuten auf der Rechnung. Nach dem Abschlusstest in Melsungen schien es so, als müßte man die Hoffnungen auf den Sieg ein wenig zurückschrauben, denn die Viertelmeilerinnen aus Melsungen liefen bei der Generalprobe – mit Ausnahme von Karolin Siebert – nur Zeiten um 65 Sekunden. Aber in Wehrheim bestätigte sich wieder einmal die alte Bühnenerfahrung, dass eine verpatzte Generalprobe oft die Garantie für eine gelungene Aufführung ist. Was das MT-Quarttet in diesem Staffelfinale zeigte, übertraf alles und stellte selbst die kühnsten Träume der Optimisten in den Schatten.
Katharina Wagner, die bei den deutschen Hochschulmeisterschaften ihre gute Form demonstriert hatte, lief schnell an und kämpfte kraftvoll die Zielgerade herunter. Gegen Julia Koß lief sie einen Vorsprung von knapp sieben Meter heraus und legte somit den Grundstein für den späteren Sieg. Nach 62,5 Sekunden reichte sie den Stab an Julia Klute weiter, die sich in den letzten Monaten eine gute Ausdauer antrainiert hatte und auch ihre Sprintqualitäten enorm verbessern konnte, so dass sie in der Lage war die Stadionrunde ebenfalls unter 64 Sekunden zu laufen. Die Melsunger 800m-Hoffnung bei den Landesjugendmeisterschaften einen Finalplatz zu erreichen, lief erneut mit einem lockeren Schritt und behauptete die Führung gegen Victoria Bruckert. Nach 63,8 Sekunden wechselte sie auf Marie Wagner, die mit großem Elan los stürmte und auf der Zielgeraden ebenfalls gutes „Stehvermögen“ bewies. Als ihr Paula Wendt ihr immer näher kam, schaltete die Jugendliche aus Gensungen einen Gang höher und reichte nach 62,8 Sekunden den Staffelstab an Schlussläuferin Karolin Siebert. Diese, vor zwei Jahren zweifache hessische U18-Meisterin über 400 Meter sowie 400m-Hürden, fiel im Vorjahr wegen einer langwierigen Verletzung fast ganz aus. Aber Karolin besitzt ein ungewöhnlich gutes Tempogefühl und weiß genau, was sie kann und was sich sich zutrauen darf. Sie ließ Naomi Heidrich, eine Sprinterin mit einer 200m-Zeit um 26 Sekunden nicht an sie heranlaufen. Im Gegenteil: Karolin Siebert zeigte, dass sie ihr vorgelegtes Tempo zu halten verstand und zum Schluss noch die Kraft zu ein paar noch schnelleren Schritten hatte. Als sie beifallumrauscht als Erste auf die Zielgerade einbog, hatte das MT-Quarttet mehr als zehn Meter Vorsprung. Beim Passieren der Ziellinie blieb die elektronische Uhr bei 4:07,01 Minuten stehen. Unter dem Beifall des fachkundigen Publikums freuten sich die MT-Läuferinnen zunächst über ihren Landesmeistertitel. Aber später gab es drei weitere Gründe sich zu freuen, denn sie verbesserten einen der ältesten Jugendkreisrekorde. Am 23. September 1984 liefen die Mittelstrecken-Asse vom TSV Remsfeld über 4×400 Meter 4,09,4 Minuten. Und diese Zeit stand fast 30 Jahre bis zu den Landesmeisterschaften in Wehrheim wie ein Fels in der Brandung.
Am 20. August 1986 verbesserten bei einem Abendsportfest in Fulda Gabriele Nadler, Beate Schneider, Stefanie Hafer und Liane Freitag den Kreisrekord in der Frauenklasse auf 4:07,04 Minuten. Auch dieser Rekord wurdeverbessert, wenn auch nur um einen Wimpernschlag von 0,01 Sekunden. Mit ihrer Zeit von 4:07,03 Minuten hätten die neuen hessischen Jugendmeister in der deutschen Bestenliste des Vorjahres hinter der Startgemeinschaft Erfurt und Jena den 19. Platz belegt. Und schließlich war die Freude noch größer, als bekannt wurde, dass sich Katharina Wagner, Julia Klute, Marie Wagner und Karolin Siebert für die deutschen Staffelmeisterschaften, die vom 25. bis 27. Juli anlässlich der deutschen Männer- und Frauenmeisterschaften in Ulm ausgetragen wurden, qualifiziert hatten.
Was diese drei Melsunger Staffeln am Fronleichnamstag in Wehrheim zeigten, war so imponierend, so brillant und so eindrucksvoll, dass Margret Lehnert, die Ehren-Viezpräsidentin des HLV, Alwin J. Wagner nach der Siegerehrung die Hand schüttelte und ihm zu diesem großartigen Erfolg persönlich gratulierte.
Melsungens Leichtathleten hatten an diesem Nachmittag, was die Finnen „Sisu“ nennen, jenen Kampfgeist, der die Kräfte im entscheidenden Kampf verdoppelt. Die Goldmedaille für die Mädchen über 4×400 Meter, der unerwartete dritte Platz über 4×400 Meter der männlichen U20 Jugend sowie der nicht eingeplante vierte Rang der U18 über 3×1000 Meter mit einer Steigerung von knapp 30 Sekunden seit den Kreismeisterschaften, sind Erfolge und Leistungen, die die Einstellung dieser Jugendlichen in ein strahlendes helles Licht rückten. Alle zehn Leichtathleten hielten nicht nur, was sie in den letzten Wochen im Training mit ihre Leistungen versprochen hatten, sie legten noch einige Prozente im Wettkampf hinzu, so dass man auf die weitere Saison gespannt sein kann. Es war eine machtvolle Demonstration, denn ohne einer Startgemeinschaft oder Leichtathletikgemeinschaft anzugehören, verfügt man in Melsungen über einen erfolgreichen Stamm von ca 20 jungen Leuten, die begeistert Leichtathletik betreiben – und das schon seit fast zehn Jahren. Wie viel Leichtathletik-Vereine in Hessen können das von ihrer Abteilung behaupten? (ajw)