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Ein besonders Gedenkbuch

THS-Schüler recherchierten über 1.000 jüdische Opfer zwischen 1933 und 1945

Stephan Bürger überreicht der Schülerin Ina Kelsch ihre Exemplare des Gedenkbuches. Foto: nhHomberg. Der letzte Freitag war ein ganz besonderer im Schulkalender der THS Homberg. Im Rahmen eines kleinen Festaktes stellte die freiwillige Oberstufen-Arbeitsgemeinschaft „Nationalsozialistische Erinnerungsorte“ unter der Leitung von Christina Ostheim und Thomas Schattner ein außergewöhnliches „Buch“ vor: Das Gedenkbuch für die ermordeten Juden 1933 bis 1945 auf dem Gebiet des heutigen Schwalm-Eder-Kreises.

Die Idee dazu kam während eines Aufenthaltes der AG im September 2014 in Auschwitz auf. Während des Aufenthaltes in Auschwitz wurden viele intensive und lange Gesprächsrunden zwischen Schülern und Lehrern abgehalten, um das Gesehene, Gehörte und Erlebte besser verarbeiten zu können. Dabei wünschte sich einer der Schüler, dass man vielleicht auch durch die Lager in Auschwitz führen könne, indem man ein individuelles Schicksal ins Zentrum rücke. Und was lag da näher, als exemplarisch ein Schicksal auszuwählen, welches seine Wurzeln im heutigen Schwalm-Eder-Kreis hatte. Rasch wurde dann daraus die Idee eines Gedenkbuches für unseren nordhessischen Kreis.

Klezmer-Musik zur Einstimmung, Isabella Reitz an der Klarinette. Foto: nhDa die Recherche von den Schülern übernommen wurde, kann das Buch nicht einhundertprozentig strengen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Dennoch wurde Enormes geleistet. Was alle Beteiligten dabei am Ende unheimlich überraschte, war die enorm hohe Anzahl an jüdischen Opfern aus dem heutigen Kreisgebiet, nämlich über 1.000 Opfer, wobei wiederum zahlreiche Schicksale nach Auschwitz führten. Knapp 200 Schicksale sind nachweisbar, die genaue Anzahl liegt wahrscheinlich viel höher, da bei vielen Opfern der Ort ihrer Ermordung nicht feststellbar ist.

Recherchegrundlage waren zunächst die Online-Datenbanken des Gedenkbuches des Bundesarchivs. Während der Arbeit an dem Gedenkbuch mussten diese aber immer wieder mit gedruckten Quellen abgeglichen werden, da sich oft Lücken zeigten. Besonders hilfreich erwies sich dabei das „Buch der Erinnerung der ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden“ und das „Theresienstädter Gedenkbuch“. Hinzu kamen wichtige Hinweise von Christian Lehmann von der jüdischen Gemeinde in Felsberg. Die Ergebnisse wurden noch durch lokale Archivbestände, wie die jüdischen Kennkarten aus dem Kasseler Stadtarchiv, ergänzt.

Diese und die Anträge auf dieselben konnten innerhalb  kurzer Zeit aus verschiedenen Archiven gesichert werden. Den größten Teil der Kennkarten stellte das Stadtarchiv in Kassel zur Verfügung, das Stadtarchiv in Fritzlar sowie das Hessische Staatsarchiv in Marburg steuerten ihre Bestände ergänzend hinzu.

Christina Ostheim und Thomas Schattner, die Leiter der AG „Nationalsozialistische Erinnerungsorte“ der THS. Foto: nhDas Gedenkbuch hat die Aufgabe, an die ehemaligen jüdischen Bürger des heutigen Schwalm-Eder-Kreises zu erinnern. Diese sind nicht einfach und in aller Regel „weggemacht“ oder „unbekannt verzogen“, sondern sie wurden bewusst deportiert und umgebracht. Bis heute reagieren vereinzelt noch Zeitgenossen mit Schweigen, Verdrängen und Nicht-Wissen-Wollen auf diese Tatsache. Dagegen soll mit diesem Buch ein Zeichen gesetzt werden. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass nun auch andere nordhessische Landkreise mit weiteren Gedenkbüchern nachziehen werden. Gleichzeitig will die THS mit diesem Buch ein Zeichen gegen alle rechtskonservativen, rechtsnationalen und rechtsradikalen Tendenzen in unserer Gesellschaft setzen, ob sie Pegida, Kagida oder anders heißen. Die THS signalisiert mit diesem Gedenkbuch, gerade auch vor dem Hintergrund des rechten „Aufkleber-Anschlags“ auf die Schule im Februar, das an dieser Schule rechtes Gedankengut keinen Platz hat.

Dass dieses dreiteilige „Buch“ überhaupt erscheinen konnte, ist vielen Mitstreitern der Schule zu danken. Besonders muss dabei Dieter Werkmeister und Stephan Bürger von Schwalm-Eder-Kreis gedankt werden, und auch Winfried Becker, die ideell und finanziell dieses Projekt von Anfang an tatkräftig unterstützt haben. Der Kreis trug so z.B. die finanziellen Kosten, dass jedem Schüler, der mitgearbeitet hat, ein Freiexemplar des Gedenkbuches überreicht werden konnte. Und auch ein Schüler der THS, Johannes Süllner, hat enorm dazu beigetragen, dass dieses Gedenkbuch erscheinen konnte. Er schrieb u.a. ein eigenes Computerprogramm, um für das Gedenkbuch ein Ortsregister erstellen zu können.

„Stolpersteine“, welche die Schüler stellvertretend für die mehr als 1.000 Opfer des Kreisgebiets verlegt haben. Foto: nhHocherfreut zeigten sich die Organisatoren darüber, dass Christopher Willing und Christian Lehmann von der jüdischen Gemeinde in Felsberg Zeit gefunden hatten, um an der Veranstaltung teil zunehmen, da dies als eine ganz besondere Würdigung der Arbeit der Schüler gesehen wurde.

Musikalische Beiträge mit Geige und Klarinette von Mitgliedern der AG und Beiträge aus dem Darstellenden Spiel von Luise Kohl-Hajek rundeten die Festveranstaltung ab. Dazu wurden symbolisch 23 „Stolpersteine“ von den 23 Schülern der AG niedergelegt. Somit wurde an die 23 Opfer des Nationalsozialismus in Homberg erinnert, schließlich konnten die Schüler nicht über 1.000 Steine legen. Zuvor wurde in einer Schweigeminute an alle Opfer des Nationalsozialismus, besonders aber der jüdischen, gedacht.

Das dreiteilige Werk ist bei Amazon erschienen: „Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland zwischen 1933 bis 1945 auf dem Gebiet des heutigen Schwalm-Eder-Kreises“. Die Kosten für das 1.320 Seiten starke Werk betragen rund 37 Euro.

Am kommenden Dienstag, den 24. März, berichten die Schüler der AG in einer weiteren Veranstaltung im Rahmen der „Wochen gegen den Rassismus“ des Stadtentwicklungsvereins Homberg in der alten Sparkasse im Birkenweg in Homberg über ihre Erlebnisse und Eindrücke in den Konzentrations- und Vernichtungslagern  Auschwitz und Mittelbau-Dora. Ab 19 Uhr werden sie dabei auch über das Werden des Gedenkbuches berichten. (Thomas Schattner)