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Neue Kirchen in der Diaspora

Über einhundert neue Kirchen für die katholische Minderheit in Nordhessen seit 1945 – Studie dokumentiert moderne katholische Sakralbauten

Dr. Johanna Anders präsentiert ihre Studie „Neue Kirchen in der Diaspora“. Foto: privatNordhessen. In der nordhessischen Diaspora entstanden nach dem II. Weltkrieg 107 heute noch erhaltene katholische Kirchen. In ihrer Studie „Neue Kirchen in der Diaspora“ dokumentiert Dr. Johanna Anders aus Helsa-Wickenrode die teils ungewöhnlichen und teils besonderen Sakralbauten der katholischen Minderheit im nördlichen Teil des Bistums Fulda. Auf 211 Seiten ist die Studie nun als Bildband erschienen, in der alle katholischen Kirchen in Nordhessen bildlich dargestellt werden.  

Um die wahre „Gründerzeit“ der kirchlichen Sakralbauten einordnen zu können, bildet die Autorin auch den historischen Hintergrund ab. „Ohne die Ansiedlung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen wäre es nie zu dieser Vielzahl an Kirchenneubauten in Nordhessen gekommen“, sagte Anders. Im überwiegend evangelischen Nordhessen gab es vor dem II. Weltkrieg nur wenige katholische Enklaven, wie etwa Fritzlar oder Naumburg. Die wenigen Gotteshäuser reichten aber nicht aus, um den vielen katholischen Heimatvertriebenen eine kirchliche Heimat zu geben. Zunächst stellten Kapellenwagen und Notkirchen, wie etwa die Barackenkirchen, die Seelsorge in der nordhessischen Diaspora sicher. Später folgten die ersten Kirchenbauten, die eher einfach und zweckmäßig waren. Im Laufe der Entwicklung wurden architektonisch mutige Sakralbauten errichtet, die sich zum Teil sehr deutlich von den bestehenden Kirchen abhoben: Moderne, schlicht und gestalterisch mutig für die damalige Zeit. Dies erkennt man auch an der Verwendung damals neuer Baumaterialien, wie etwa den Einsatz von Stahlbeton. Grundlagen für diese mutige Bauweise finden sich in den Vorläufern der Reformbewegung des II. Vatikanischen Konzils, welches die geistigen Leitbilder der Kirche deutlich veränderte. Das Konzil brach mit den überkommenen Glaubenstraditionen der Kirche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und beförderte damit auch eine architektonische Weiterentwicklung des Sakralbaus. Diese Neuorientierung zeigt sich in den Kirchenneubauten in Nordhessen sehr deutlich. In der Studie unterscheidet Anders u. a. auch die Bauweisen der Kirchen in sieben verschiedenen Grundrissen. Vom rechteckigen Grundriss bis zum polygonalen Grundriss.

Titelbild des Bildbandes. Foto: Wolfgang ScholzNeben dem Gesamtverzeichnis aller Kirchen werden 27 Sakralbauten als ausgewählte Beispiele besonders hervorgehoben. Etwa die Wallfahrtskirche Maria Hilf in Trutzhain oder die Herz Jesu Kirche in Calden, die mit ihrer zeltförmigen Form ins Auge fallen, die auf trapezoidem und parabolischem Grundriss beruhende Kirche St. Bonifatius in Kassel oder die Kirche Christkönig in Borken mit ovalem Grundriss.

Trotz der stereotypen Merkmale wie etwa die konfessionellen Gegebenheiten beim Bau einer solchen Kirche, knappe Finanzierungsmöglichkeiten und eine eingeschränkte Materialauswahl zeichnet sich die nordhessische Kirchbaulandschaft durch eine erstaunliche architektonische Vielfalt aus. Dies zeigt auch die Einstufung von Diasporakirchen als Kulturdenkmäler durch das Landesamt für Denkmalpflege. Dort sind u.a. die Kirchen in Wahlsburg/Lippoldsberg, Kaufungen/Oberkaufungen oder Schwalmstadt/Trutzhain als Kulturdenkmäler verzeichnet.

Der Bildband „Neue Kirchen in der Diaspora – Eine Studie zu den Kirchenneubauten nach 1945 im nordhessischen Teil des Bistums Fulda“ ist im kassel unversity press 2014, ISBN 978-3-86219-682-1, erschienen und im Buchhandel für 39 Euro erhältlich. (red)