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Ghetto Theresienstadt im Zentrum von Gedenkstunde

Von den Reichspogromnächten zum Holocaust

Foto: SchattnerHomberg. Was am Abend des 8. November hier in der Region begann, endete mit der Vernichtung der europäischen Juden in den Konzentrations- und Vernichtungslagern im Osten. Das Ghetto Theresienstadt bildet dabei sozusagen den regionalen Endpunkt der Reichspogromnacht in Homberg und den umliegenden Dörfern. Schließlich fuhr der letzte Deportationszug mit den nordhessischen jüdischen Bürgen von Kassel aus in das Ghetto in der Nähe von Prag.

Nachdem im letzten Jahr ein Gang durch die Stadt anhand von ausgewählten Stolpersteinen stattfand, steht dieses Jahr das Ghetto Theresienstadt im Zentrum der Gedenkveranstaltung.

Es laden dazu ganz herzlich der Ökumenische Arbeitskreis Homberg und die Stadt Homberg ein, die auch erstmals den Rathaussaal dafür zur Verfügung stellt. Verantwortlich sind erneut Schüler und Schülerinnen der EKS und der THS (AG „Schule ohne Rassismus“) gemeinsam mit ihren Lehrern, Gunnar Krosky und Thomas Schattner, die in einem erneuten Kooperationsprojekt die Gedenkfeier gestalten. Für musikalische Beiträge sorgen die beiden THS-Schülerinnen Isabella Reitz (Klarinette) und Luisa-Marie Otto (Geige).

Seit dem Jahr 1940 steht Theresienstadt für die Unterdrückung der politischen Gegner Hitlerdeutschlands und als Symbol für den Massenmord an den europäischen Juden. Im Juni 1940 wurde die Kleine Festung von Theresienstadt nämlich von der Prager Gestapo entdeckt; von nun an wurden politische Häftlinge hier eingesperrt und gefoltert. Ab dem November 1941 wurde die ehemalige Hauptfestung Stück für Stück zu einem Sammel- und Durchgangslager für die jüdischen Bürger Europas. Kombiniert wurde das mit der Errichtung des Ghettos Theresienstadt.

In den Jahren 1940 bis 1945 durchliefen zirka 200.000 Menschen aus 13 Nationen diese Terrorstätten der Nationalsozialisten. Jeder Fünfte überlebte „Theresienstadt“ nicht. Weitere 90.000 Menschen starben, nachdem sie Theresienstadt überlebt hatten und in andere Vernichtungslager deportiert worden waren.

Unter den Opfern waren auch zahlreiche nordhessische Juden. Am 7. September 1942 fuhren jüdische Bürger aus dem Regierungsbezirk Kassel offiziell ins Altersheim, inoffiziell zur Ermordung ins Ghetto. Offiziell hieß das: „Die restlichen Juden aus dem Regierungsbezirk Kassel [werden] nach Theresienstadt abgeschoben“. Insgesamt 753 oder 844 Personen – darin sind die Quellen nicht eindeutig – wurden an diesem Tag deportiert, 498 davon waren älter als 65 Jahre alt und 25 Kinder jünger als 15 Jahre alt. Das Alter der aus dem Kreisgebiet deportierten schwankte zwischen 91 und 23 Jahren, darunter auch die jüdischen Veteranen des Ersten Weltkriegs, an die sich das NS-Regime bis jetzt noch nicht heran getraut hatte. Nur 192, andere Quellen sprechen aber nur von 70, sollten von ihnen überleben.

Der Sonderzug „Da 511“ verließ am 7. September 1942 Kassel. In ihm saßen nicht nur die über 65-Jährigen, sondern auch die bisher verschonten Träger von Kriegsauszeichnungen beziehungsweise die Kriegsverwundeten mit ihren Familien. Der Abfahrt waren akribische Vorbereitungen der Kasseler Staatspolizeistelle vorausgegangen. Für die Organisation waren die Kreispolizeibehörden zuständig. „Den einzelnen Judentransporten sind je nach Notwendigkeit ein oder mehrere Gendarmerie-Beamte als Begleitkommando von den Abgangsbahnhöfen nach Kassel mitzugeben“, so die Gestapo in Kassel am 25. August 1942. Welche Verzweiflung, Nöte und Ängste dabei im Einzelnen von den Betroffenen auszuhalten waren, lässt sich noch nicht einmal ansatzweise rekonstruieren.

Das Sammellager für die jüdischen Bürger befand sich schon wie bei den vorhergehenden Transporten in der Turnhalle der Bürgerschulen in der Schillerstraße Ecke Wörthstraße.

Foto: SchattnerMinna Heilbronn aus Homberg hatte wie wahrscheinlich alle älteren Juden vor ihrer Deportation einen Heimeinkaufsvertrag für das Ghetto Theresienstadt von 4.000 Reichsmark abgeschlossen. Minna glaubte irrtümlich, in ein jüdisches Altersheim gebracht zu werden. Nach Minnas Deportation von Homberg „jubelte“ der Bürgermeister der Stadt, „damit ist die Stadt Homberg judenfrei geworden“.

Nach stundenlangem Warten ging es am 7. September nachmittags gegen 17 Uhr los. Diejenigen, die nicht mehr laufen konnten, wurden mit Lastwagen zum Kasseler Hauptbahnhof gebracht. „Die anderen folgten zu Fuß. Ein langer Zug bewegt sich durch die Straßen …“. Das Verladen in die Personenwaggons am Bahnhof ging dann recht schnell vonstatten.

Am 8. September wurde das Ghetto Theresienstadt erreicht. Den Umständen entsprechend ging es den Insassen. Denn es war nicht so heiß und da auch etwas Wasser in den Waggons vorhanden war, gab es auch Waggons, die keinen Toten zu beklagen hatten. Die Nationalsozialisten bezeichneten Theresienstadt gerne als „Altersghetto“, daher glaubten auch viele jüdische Bürger, in ein Altersheim gebracht zu werden. In Wahrheit war das Ghetto nur ein großes Durchgangslager für die großen Vernichtungslager im Osten.

Zum Zeitpunkt des Kasseler Transports war das Ghetto mit mehr als 50.000 Personen total überfüllt. Katastrophale hygienische Bedingungen herrschten dort. Schon kurz nach ihrer Ankunft wurde vielen Deportierten klar, dass sie hier nicht lange bleiben würden. Möglicherweise hatte Julius Heilbronn aus Homberg noch nicht einmal die Hinfahrt überlebt, da er schwer krank zum Transport gebracht wurde. Wie sehr Julius zu diesem Zeitpunkt bedingt durch die fast zweimonatige Internierung im Arbeitserziehungslager Breitenau gesundheitlich geschwächt war, geht aus einem Schreiben des Staatlichen Gesundheitsamtes in Fritzlar vom 28. Mai 1942 an den Bürgermeister in Homberg hervor. Als Fazit formuliert ein Mediziner im Hinblick auf die bevorstehende Deportation von Julius, „[…] daß m. E. ein Abtransport, wenn überhaupt, nur jetzt möglich ist. Wegen des Schwächezustandes wird empfohlen, den Abtransport im Liegen, am besten auf einer Trage vorzunehmen. Transport im Krankenauto ist nicht notwendig. Es genügt ein üblicher Wagen“.

Schon in den nächsten Tagen wurden 187 jüdische Bürger und Bürgerinnen ins Vernichtungslager Treblinka überführt. „Aus einer Mitteilung des Tschechoslowakischen Roten Kreuzes in Prag geht hervor, daß der Transport 399 als Todestransport anzusehen ist, da weniger als 10 der Verschickten nach dem Kriege zurückgekehrt sind“, so das Rote Kreuz später. Wenige Stunden später waren fast alle Deportierten schon tot. Im Ghetto selbst starben bis Jahresende 138 Personen des Kasseler Transportes. Im Verlauf des Jahres 1943 wurden dann in zwei Zügen 74 weitere in das Vernichtungslager Auschwitz überstellt, 115 weitere Menschen aus der Region Nordhessen starben im Ghetto bis Jahresende.

Die Gedenkstunde beginnt am 8. November um 16 Uhr Homberger Rathaussaal. Die Homberger Öffentlichkeit ist herzlich eingeladen, daran teilzunehmen.

Flankierend zeigt die THS die Ausstellung „Erinnern und Gedenken in Hessen“, die durch schulgeschichtliches Material zur NS-Zeit (u.a. mit jüdischen Schülerbiografien) angereichert ist. Die Ausstellung ist vom 2. bis zum 20. November im Foyer des Altbaus der THS zu sehen. Neben der interessierten Öffentlichkeit sind auch andere Schulen herzlich eingeladen, diese Ausstellung während den normalen Öffnungszeiten der Schule (Montag bis Freitag) zu besuchen. (Thomas Schattner)



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