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Grüne schreiben offenen Brief an VW-Vorstand

Dr. Bettina Hoffmann, Kreisvorstand Bündnis 90/ Die Grünen Schwalm-Eder. Foto: nh

Dr. Bettina Hoffmann, Kreisvorstand Bündnis 90/ Die Grünen Schwalm-Eder. Foto: nh

Nordhessen. Mit einem offenen Brief wenden sich die nordhessischen Grünen an den Vorstand der Volkswagen AG. Man wolle kein nordhessisches Detroit, heißt es darin. Den gesamten Wortlaut des Briefs lesen Sie hier:

Offener Brief der Kreisverbände von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Nordhessen
an den Vorstand der Volkswagen AG

Nordhessen braucht einen innovativen und auf Nachhaltigkeit ausgerichteten VW-Konzern.
GRÜNE wollen kein nordhessisches Detroit.

Allein im Volkswagenwerk Kassel arbeiten über 16.000 Menschen, womit VW der größte Arbeitgeber Nordhessens ist. Viele von ihnen wohnen auch in Nordhessen, kaufen hier ein und zahlen Steuern. Viele Familien arbeiten schon in der zweiten oder dritten Generation bei VW und fühlen sich entsprechend verbunden. Sie vertrauen auf VW.

Wir GRÜNE in Nordhessen sind in großer Sorge, dass sich das Schicksal von Detroit auch perspektivisch in Deutschland und Nordhessen abspielen könnte. Anlass sind nicht nur die Abgasmanipulationen von VW bei Dieselfahrzeugen, die rechtlich unterschiedlich bewertet werden, letztlich aber ein Verbrechen gegen Umwelt und Gesundheit sind. Dieselgate hat auch gezeigt, dass VW nicht für die Zukunft gerüstet ist.

Detroit war Mitte des 20. Jahrhunderts eine mächtige amerikanische Autostadt und die bedeutendste Industriemetropole der Welt. Einer der Gründe war der revolutionäre Geist von Ford, der die industrielle Massenproduktion am Fließband einführte. Für viele Menschen wurde der amerikanische Traum wahr. Bis internationale Konkurrenz, u.a. aus Deutschland und Japan, auf den amerikanischen Markt drängte. Heute ist Detroit bankrott und zu einer Geisterstadt geworden.

Wir wollen nicht, dass dieses Schicksal auch Nordhessen ereilt. Dieselgate hat die einstmals innovative VW-AG in eine tiefe Krise gestürzt. Noch sind die tatsächlichen Auswirkungen nicht absehbar. Doch wir
befürchten ein finanzielles Desaster. Denn es werden nicht nur gigantische Strafzahlungen auf VW zukommen. Im Dieselautoboom hat der Konzern ganz vergessen,  Alternativtechnologien für Verbrennungsmotoren zu entwickeln. Das Entsetzen über die chinesische Elektroauto-Quote ab 2018 zeigt, wie wenig der Globalplayer auf die Zukunft vorbereitet ist. Auch das Pariser Klimaabkommen mit dem Ziel der Dekarbonisierung verheißt für Diesel- und Benzinfahrzeuge nichts Gutes. Im Divestment könnte jetzt auch VW auf der Strecke bleiben.

Ein multinationaler Konzern wie VW hat lange Zeit die Zukunft verschlafen mit dem Festhalten an alten Technologien. Vermutlich wird die Bundesregierung die deutschen Autokonzerne noch einige Zeit verschonen, wenn Verstöße stattfinden. Der laxe staatliche Umgang mit dem Abgasbetrug ist dabei als fahrlässig zu bezeichnen. Zu kritisieren ist auch, wenn die EU die Grenzwerte für Dieselabgase verdoppelt. Auch im Klimaschutzplan 2050 für Deutschland bekommen die fossilen Brennstoffe eine lange Schonfrist.

Es fehlt der Mut, mehr auf Elektromobilität zu setzen. Die Politik steckt in dem ewigen Dilemma zwischen Arbeitsplätzen und Umweltschutz. Es ist eine Politik, welche die Weitsicht stört, die nicht in Unternehmenszukunft denkt. Das Vorsorgeprinzip kann nicht mehr lange ignoriert werden, ist es doch eine Leitlinie der deutschen und europäischen Umweltpolitik. Die Städte werden auf die zunehmende Stickoxidbelastung und ihre gesundheitlichen Folgen mit Fahrverboten reagieren müssen. Wenn Grenzwerte überschritten werden, sind sie dazu verpflichtet. Da Klagen drohen, wird es vielleicht schnell gehen. Und wieder ist der Staat nicht vorbereitet, hat keine Regeln aufgestellt. Die Blaue Plakette wäre eine Option. Sie wäre ein Katalysator für die Entwicklung von Autos der Zukunft, die autonom und allein mit Sonnen- und Windenergie angetrieben werden. Schon jetzt macht internationale Konkurrenz wie Tesla und BYD vor, wie es geht. In München fahren für BeeZero-Carsharing Wasserstoff-Fahrzeuge von Hyundai.

Wir appellieren an VW, sich nicht mehr auf die Politik zu verlassen, sondern die Zukunft des Konzerns in die eigenen Hände zu nehmen. Damit Deutschland wieder international Spitze ist, brauchen wir eine ökologische Transformation der Industriegesellschaft. Wachstum und Ressourcenverbrauch müssen entkoppelt werden. Nachhaltige Produktions- und Konsumstrukturen müssen gefördert werden. Nur so kann die deutsche Industrie global wettbewerbsfähig bleiben. Wir brauchen einen Ausstieg aus fossiler Energie und wir wollen, dass VW diesen Prozess anführt – im eigenen Interesse und in Verantwortung für Deutschland und Nordhessen.

V. i. S. d. P.
Dr. Bettina Hoffmann
Bündnis 90/Die Grünen Schwalm-Eder

Mitunterzeichner:

Edmund Borschel, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der GRÜNEN im Kreistag Kassel-Land