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Dem demographischen Wandel erfolgreich getrotzt

Nordhessen. Die Effekte des demographischen Wandels schlagen weit weniger im Bezirk der Industrie- und Handelskammer Kassel zu Buche als zuletzt befürchtet. Mit diesem erfreulichen Fazit eröffnete IHK-Hauptgeschäftsführerin Sybille von Obernitz die diesjährige gemeinsame Pressekonferenz von IHK, Handwerkskammer und Arbeitsagentur. Zwar müsse man ein Ergebnis von 1,9 % weniger eingetragenen Ausbildungsverträgen in 2016 festhalten, so die IHK-Chefin, aber „allen Unkenrufen zum Trotz haben die nordhessischen und Marburger Ausbildungsbetriebe mit insgesamt 4.550 neuen Verträgen wieder erfolgreich alle Anstrengungen unternommen, ihre Ausbildungsstellen zu besetzen.“  Festzuhalten sei jedoch, so der Geschäftsführer der IHK-Aus- und Weiterbildung, Dr. Michael Ludwig, dass gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie zum Beispiel der weiter anhaltende Trend zu höheren Berufsabschlüssen die Menge der Bewerber beschränkten.

Damit einhergehen die strategischen Überlegungen der IHK mit ihrer Informationsarbeit zur dualen Ausbildung gezielt dort anzusetzen, wo entweder ein deutlicher Mangel an Fachkräften besteht oder noch zu wenig Nachfrage nach den Ausbildungsstellen der Wahl zu verzeichnen ist. Allerdings, so stellten die beiden IHK-Experten übereinstimmend fest, gäbe es in einzelnen Branchen sogenannte Megatrends, die das Einstellungsverhalten der Betriebe beeinflussen wie etwa im Bankenbereich, der unter der Niedrigzinspolitik und dem Regulierungsdruck der EU ebenso leidet wie unter dem demographischen. Das zeigt sich in der IHK-Bilanz dergestalt, dass 20,7 % weniger Verträge im Berufsbild Bankkaufmann im gesamten Bezirk abgeschlossen wurden.

Eine positive Stimmung wie etwa die in der Metall- und Elektroindustrie Hessens wirkt sich dagegen als treibende Kraft bei den Zahlen des gewerblich-technischen Sektors aus, der nach mehreren schwächeren Jahren die Wende geschafft zu haben scheint. So fällt die Bilanz der Metallberufe mit plus 3,1 % positiv aus und gleicht damit den Rückgang der Elektrotechnik von 3,1 % mehr als: Stehen hier 27 Ausbildungsverhältnisse zusätzlich zu Buche, fehlen dort nur 12 Verträge.

Einen Verlust von 5 % zeigt der Handel (insgesamt 914 Verträge), obwohl es in der Gesamtbranche nach Aussage von Experten derzeit einen Beschäftigungsaufbau gibt. Die Experten führen dieses Ergebnis auf die Konzentration in großen Einzelhandelsunternehmen zurück, während der kleinere stationäre Inhaber geführte Handel in den Teilregionen seine Angebote zurückfährt. Wichtig ist gerade hier, die neuen Berufsbilder wie den für 2018 vorgesehenen eCommerce-Kaufmann als zukunftsfähige Berufsausbildung zu etablieren. Regional gegliedert ergibt sich im IHK-Bezirk eine sehr unterschiedlich gelagerte Situation. Während der Werra-Meißner-Kreis, vom demographischen Wandel sehr gebeutelt, sich mit plus 1,5 % hervorragend behauptet und damit knapp hinter dem Altkreis Marburg (2,3 %) und dem Landkreis Kassel (2,2 %) ins Ziel kommt, verzeichnet die Stadt Kassel einen Rückgang von 5,4 % und der Schwalm-Eder-Kreis 5,5 %.

Für die IHK ist die Jahresstatistik 2016 ein Arbeitsauftrag: „Wir werden im kommenden Jahr unser Augenmerk auch weiter auf die Informationsarbeit zur dualen Ausbildung richten und dort zum Beispiel daran arbeiten, den jugendlichen Bewerbern auch weniger bekannte Berufsbilder wie den Bergbautechnologe bekannt zu machen,“ kündigte Sybille von Obernitz in ihrer Zusammenfassung an. Grundsätzlich sah sie sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass das Thema Digitalisierung von ganz besonderer Bedeutung für die IHKAusbildungsbetriebe ist. Hier gelte es, den Betrieben die Vorteile der Digitalisierung näher zu bringen und attraktive neue Berufsfelder und Aufgabengebiete in den Fokus der Aufmerksamkeit
zu bringen.

Ansprechpartner für Betriebe und Auszubildende sind die IHK-Bildungsberater, deren Hotline täglich unter (0561) 7891 288 zu erreichen ist.

Handwerk bildet weiterhin mehr aus
Ein leichtes Plus von 3 Prozent oder 83 Ausbildungsverträgen verzeichnete die Handwerkskammer Kassel zum 30. September bei den neu eingetragenen Lehrverträgen. Aktuell haben 2.862 junge Menschen mit einer Ausbildung im Handwerk begonnen, eine Zahl die im Vorjahr bei 2.779 (+ 3,1 Prozent, + 84 Verträge) lag. „Damit sind unsere Bemühungen, die Zahlen des Vorjahrs zu halten, mehr als aufgegangen. Das ist ein ausgesprochen erfreuliches Ergebnis. Es zeigt uns, dass wir die Trendwende in der Nachwuchssicherung schaffen“, bilanziert Hauptgeschäftsführer Eberhard Bierschenk, die Lehrstellensituation im Handwerk in Nord-, Ost- und Mittelhessen. „Deshalb werden wir auch künftig darauf setzen, mit vielen unterschiedlichen Maßnahmen und Projekten Betriebe und Jugendliche möglichst direkt in Kontakt miteinander zu bringen“ beschreibt Jürgen Müller als stellvertretender Hauptgeschäftsführer die Strategie der Kammer in der Nachwuchswerbung.

Auch wenn bei der Kammer zum jetzigen Zeitpunkt mehr neue Ausbildungsverträge als im Jahr zuvor eingetragen waren und die Ausbildungsbereitschaft der Handwerksbetriebe nach wie vor hoch ist, bleiben aber immer noch zu viele Lehrstellen im Handwerk unbesetzt. „Deshalb ist die Nachwuchssicherung und Nachwuchswerbung auch im kommenden Jahr ein wesentlicher Schwerpunkt unserer Arbeit“, erklärt Müller weiter. Dazu werde die Kammer auch künftig um gute Haupt- und Realschülern werben und weiterhin versuchen, junge Migranten und ihre Familien für eine duale Ausbildung zu gewinnen. Ferner werde der Fokus auf Abiturienten und Studienaussteigern liegen. Selbstverständlich spiele aber auch die Integration von Flüchtlingen bei der Sicherung der Nachwuchs- und Fachkräfte eine Rolle.

Bierschenk ließ keinen Zweifel daran, dass das Handwerk jungen Menschen eine gute Zukunft bietet. „Egal ob erneuerbare Energien, modernste Haustechnik oder E-Mobilität – viele aktuelle technische Entwicklungen sind ohne das Handwerk nicht denkbar. Dementsprechend orientiert sich auch die Berufsausbildung an den neuesten technischen Entwicklungen.“ Dabei lägen die Perspektiven für die jungen Menschen nicht nur in den zukunftsweisenden Arbeitsfeldern, sondern auch in der persönlichen Karriereplanung. „Das Handwerk bietet vielseitige Fortbildungen, die bis zum Meistertitel führen. Dazu suchen in den nächsten Jahren viele Betriebsinhaber einen Nachfolger. Damit bietet das Handwerk jungen Menschen große Zukunftschancen“, sind sich Bierschenk und Müller sicher.

Arbeitsagentur Kassel
Im Berichtsjahr 2015/ 2016 gab es bei sinkender Bewerberzahl (erstmalig kein doppelter Abiturjahrgang) mehr angebotene Ausbildungsstellen. Somit konnte – rein rechnerisch – die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage fast geschlossen werden. „Kamen im vergangenen Jahr auf 100 Bewerber noch 85 duale Ausbildungsplatzangebote, sind es aktuell bereits 95. Damit spitzt sich die Situation auf dem Ausbildungsmarkt immer weiter zu“, so Detlef Hesse, Leiter der Arbeitsagentur Kassel. Folglich fällt es einigen Branchen immer schwerer, freie Ausbildungsplätze zu besetzen, da die Diskrepanz zwischen dem Lehrstellenangebot und den Berufsvorstellungen sowie Qualifikationen zunimmt und Themen wie Attraktivität und Qualität immer mehr in den Focus rücken. Zudem verringert sich die Bewerberzahl für die duale Berufsausbildung aufgrund sinkender Schulabgänger sowie dem anhaltenden Trend zu höherwertigen Schul- oder akademischen Abschlüssen.

Von den insgesamt 3.660 gemeldeten Jugendlichen (minus 323 gegenüber dem Vorjahr), verfügten 1.146 über die Fachhochschul- oder Hochschulreife. Das ist ein Anteil von 31,4 Prozent an allen Bewerberinnen und Bewerbern. Im vergangenen Jahr lag er noch bei 30,1 Prozent. Zugleich sank die Zahl der jungen Menschen mit mittleren Bildungsabschlüssen. Hatten sich in 2014/ 2015 noch 2.622 Schulentlassene mit Haupt- und Realschulabschluss bei der Berufsberatung gemeldet, sind es aktuell nur noch 2.344, ein Rückgang um 278.

„Diese Entwicklung verdeutlicht, dass sich der Wettbewerb um den Nachwuchs für die duale Ausbildung zunehmend verschärft“, erklärt Hesse. „Folglich müssen Betriebe lernen, sämtliche Möglichkeiten bei der Personalakquise zu nutzen und zunehmend innovative Wege zugehen, da sich die Rekrutierungskanäle verschieben, u.a. in die digitale Richtung.“

Aufgrund der weiterhin stabilen wirtschaftlichen Lage sowie der intensivierten Zusammenarbeit aller Ausbildungsbeteiligten, wurden der Agentur für Arbeit Kassel insgesamt 3.480 Lehrstellen gemeldet, von denen 3.285 auf betriebliche Plätze entfielen. Dies entspricht einem Plus von 131 Angeboten und deutet auf die weiterhin hohe Bereitschaft der Betriebe hin, ihren Fachkräftebedarf über die Nachwuchsgewinnung zu sichern.

Regional und berufsspezifisch bestehen jedoch erhebliche Ungleichgewichte, die zu unterschiedlichen Chancen führen. Demnach gab es in der Stadt Kassel mehr Ausbildungsstellen als Bewerber (auf 100 Bewerber kommen 118 Lehrstellen), im Landkreis Kassel (auf 100 Bewerber kommen 77 Lehrstellen) und im Werra-Meißner-Kreis (auf 100 Bewerber kommen 87 Lehrstellen) hingegen fehlten Angebote, was u.a. zur Folge hat, dass sich Unternehmen bei der Personalrekrutierung verstärkt auch überregional aufstellen müssen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Anforderungen am Markt stetig steigen und infolge dessen die Ansprüche an die Ausbildung. Klein- und mittelständischen Firmen, die deshalb kaum noch in der Lage sind eine komplette Ausbildung anzubieten, rät Hesse deshalb, verstärkt in Verbundausbildung zu investieren und in ihrer Ausbildungsbereitschaft nicht nachzulassen. Damit dies gelingt und Ausbildungsabbrüche vermieden werden, unterstützt und begleitet die Arbeitsagentur sowohl die Arbeitgeber als auch die Auszubildenden während der gesamten Lehrzeit. Bewährte Maßnahmen zur Integration sind zum Beispiel Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen (BaE), berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (BvB), Einstiegsqualifizierung (EQ) sowie die Erstausbildung junger Erwachsener.

Trotz der angespannten Lage blieben 78 junge Menschen ohne Lehrvertrag (minus 52 gegenüber dem Vorjahr) und 38 Ausbildungsplätze unbesetzt (minus 2 gegenüber dem Vorjahr), da aus Sicht der Betriebe zum Beispiel Jugendliche die notwendigen Berufsspezifischen Anforderungen nicht erfüllten bzw. Jugendliche zugesagte Stellen nicht antraten oder kurz vor oder unmittelbar nach Ausbildungsbeginn absagten. Unbesetzt blieben somit Berufe wie Fachverkäufer/in im Lebensmittelhandwerk/ Bäckerei, Medizinische/r Fachangestellte/r, Fleischer/in, Servicekraft – Schutz und Sicherheit sowie Kaufleute im Einzelhandel und Hotelfachkräfte.

Da für viele Betriebe eine Alternativbesetzung nicht in Frage kam, verzeichnete die Arbeitsagentur – wie auch schon im letzten Jahr – im gesamten Bezirk ein Storno von rund 500 Lehrstellen. Vor diesem Hintergrund appelliert der Agenturleiter an die Ausbildungsverantwortlichen, auch vermeintlich schwächeren Bewerbern eine Chance zu geben und sie in Ausbildung zu integrieren. Auch Studienabbrecher sollten noch stärker in den Fokus der Unternehmen rücken.

Alle Dienstleistungen der Arbeitsagentur Kassel sind kostenlos. Das Berufsinformationszentrum (BIZ) kann ohne Termin oder vorherige Anmeldung genutzt werden. Termine bei der Berufsberatung können unter der kostenfreien Telefonnummer (0800) 4 5555 00 vereinbart werden und Arbeitgeber erhalten unter (0800) 4 5555 20 weitere Informationen. (red)