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Täter- und Opferbiographien in Norhessen

Der Homberger Adolf Pittschellis als Junker. Foto: Archiv Thomas Schattner

Der Homberger Adolf Pittschellis als Junker. Foto: Archiv Thomas Schattner

Schwalm-Eder. Da Geschichte auch immer im Lokalen stattfand, findet man auch im Lokalen Täter- und Opferbiographien in nationalsozialistischer Zeit. Lange hat sich die regionalgeschichtliche Forschung Nordhessens lediglich auf die Opfer konzentriert und die Täter über viele Jahre außen vorgelassen. Dem soll mit dem Buch „Täter- und Opferbiographien in Norhessen während der nationalsozialistischen Zeit von 1933 bis 1945“ entgegengewirkt werden. Erstmalig werden beide Gruppen in einem Band zusammengefasst, schließlich werden so erst die Ambivalenzen der nationalsozialistischen Zeit im nördlichen Hessen deutlich. Dies zeigt auch der Buchumschlag des Bandes ganz deutlich. Johannes Zenker, ein Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, ist dort in der vorderen Reihe rechts zu sehen. Er trägt einerseits die Wehrmachtsuniform und ist andererseits gleichzeitig als Mitglied einer Einheit des Roten Kreuzes ausgewiesen.

Wie groß das Ausmaß der Opfer ist, ist gemeinhin lange bekannt. Dazu hat vor allem die Forschung der Gedenkstätte Breitenau in Guxhagen beigetragen. Dass adäquat dazu eine enorme Anzahl der Täter ebenfalls in Nordhessen beheimatet war, möchte das Buch erstmals einer größeren Öffentlichkeit vorstellen.

Das Buch versucht, den Opfern ein „literarisches“ Denkmal zu setzen, gleichzeitig soll an die Schandtaten der Täter erinnert werden, deren Biografien nach 1945 allzu oft nach einer kurzen Pause weiter gradlinig verliefen und die so häufig weiterhin politisch aktiv sein konnten und somit die alte Bundesrepublik maßgeblich politisch und gesellschaftlich mit prägten.

Ernst Pittschellis, gebürtig aus Homberg, im Jahr 1942. Foto: Archiv Thomas Schattner

Ernst Pittschellis, gebürtig aus Homberg, im Jahr 1942. Foto: Archiv Thomas Schattner

Die Publikation erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es legt bestenfalls erste Grundlagen. Im Gegenteil, das Buch möchte nachfolgende Historikergenerationen dazu ermutigen, weiter zu forschen.

Grundlage der ausgewählten Biografien war ihr Bezug zu Nordhessen. Dass es dabei mitunter auch schwierig war, eine Biografie eindeutig zu zuordnen, ist hier und da selbstverständlich.

Neben Philipp Prinz von Hessen, den Gauleitern Karl Weinrich und Karl Gerland, Jean-Pierre des Coudres, Roland Freisler, Otto Fricke aus Heinebach, Arnold Strippel aus Unshausen, Generalfeldmarschall von Paulus aus Breitenau und Klaus Barbie werden auch der Homberger Kreisleiter Karlheinz Exter und Landrat Freiherr von Funck auf der Täterseite thematisiert. Dazu kommen drei Mitglieder der Homberger Familie Pittschellis und Dr. Karl Neuhaus, der in den 1950er Jahren kurz am Homberger Gymnasium unterrichtete.

Auf der Opferseite werden Oppositionelle und Widerstandskämpfer dargestellt, zu ersteren Gruppe gehörten der Waberner Pfarrer Heinrich Baum, der Homberger Gymnasiallehrer Dr. Rudolf Bubner sowie seine Kollegen Hans Zenker und Hedwig Zuschlag und der Homberger Sozialdemokrat Fritz Kramer.

Dr. Rudolf Bubner im Jahr 1964, Lehrer am Homberger Gymnasium, Schulmuseum der BTHS Homberg. Foto: nh

Dr. Rudolf Bubner im Jahr 1964, Lehrer am Homberger Gymnasium, Schulmuseum der BTHS Homberg. Foto: nh

Der Widerstandskämpfer Hans von Boineburg-Lengsfeld, der Melsunger Martin Greiling, Egbert Hayessen vom Mittelhof bei Gensungen, Hans John aus Treysa, Konrad März und Albert Schuler aus Homberg sowie Walter Stahnke aus Borken repräsentieren den zweiten Teil der Opferseite. Hinzu kommt ein Aufsatz über den späteren österreichischen Bundespräsidenten Kirchschläger.

Mit dem Band wird dem vielfach ausgesprochenen Wunsch der regionalhistorisch-interessierten Leserschaft entsprochen, in Buchform Aufsätze zu bündeln, die in den letzten zwanzig Jahren in verschiedenen Foren, Kontexten und Publikationsorganen erschienen sind. Darüber hinaus wurden zahlreiche neue Aufsätze für dieses Buch geschrieben, um eine noch differenziertere Analyse der beiden Gruppen in der NS-Zeit zu ermöglichen.

Johannes Grötecke aus Bad Wildungen schrieb im Vorwort zum Buch: „Wer das Buch gelesen hat, den befällt Scham: Wie waren diese Untaten, aber auch deren Vertuschen nach 1945 möglich? Täter oder Opfer: Auf welcher Seite hätte man damals selbst gestanden? Wie geht man mit einem solchen Berg an Leid angemessen um? Kann man überhaupt je einen „Schlussstrich“ ziehen unter die NS-Zeit, wo doch das Schicksal einstiger NS-Opfer das Leben von deren Kindern und Enkel teils heute noch beeinflusst? Haben wir Deutsche tatsächlich so viel gelernt aus unserer Geschichte angesichts der aktuellen Erfolge von Populismus, Juden- und Flüchtlingsfeindlichkeit?

Zwar waren die im Buch ebenfalls erwähnten Widerständler in Nordhessen damals zu wenige, und sie konnten das NS-System letztlich auch nicht wirklich gefährden. Aber sie zeigen bis heute, dass nicht alle Deutschen Nazis waren, und dass jeder von uns heute die Wahl hat, sich angesichts von Ungerechtigkeit anzupassen oder eben dagegen anzugehen. Die Widerständler sind daher Leuchttürme des Gewissens, der Moral, der Menschlichkeit bis hinein in unsere stürmische, politisch bewegte Zeit“!

Den Band gibt es bei amazom zum Preis von 10,70 Euro. Der Titel lautet „Täter- und Opferbiographien in Norhessen während der nationalsozialistischen Zeit von 1933 bis 1945“. (red)