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Die Familie Löwenstein: Die Odyssee geht weiter (Teil 2)

Irma Oppenheim-Löwenstein mit Ehemann Benno, Hanna Lissauer-Löwenstein mit Ehemann Gustav und Mutter Gitta Löwenstein, November 1945. Foto: Archiv Thomas Schattner

Irma Oppenheim-Löwenstein mit Ehemann Benno, Hanna Lissauer-Löwenstein mit Ehemann Gustav und Mutter Gitta Löwenstein, November 1945. Foto: Archiv Thomas Schattner

Wabern. Wenn die ersten zehn „Stolpersteine“ in Wabern am 8. Februar 2018 verlegt werden, geht es auch um Schicksale einer Waberner Familie, deren Mitglieder im europäischen Ausland und in den USA überlebt haben. Was es damals bedeutete, ohne Sprachkenntnisse in einer anderen Kultur, ein neues Leben zu beginnen, können wir heute kaum noch nachvollziehen. Folgen wir den Löwensteins zunächst auf ihren Spuren im Deutschen Reich, ehe wir in die USA und in die Niederlanden blicken werden.

Tochter Hanna, Walters Schwester, Löwenstein wohnte ab dem 30. September 1935 in Berlin. Zuvor kam sie zwar noch einmal kurz zurück, doch an ein Verbleiben im Ort war nicht mehr zu denken. Am 20. August 1936 wanderte sie nach Amerika aus, um sich in New York eine neue Existenz aufzubauen. Allerdings konnte sie nur als Dienstmädchen Arbeit finden. Später heiratete sie dort am 8. August 1941 Gustav Lissauer aus Fritzlar. Die Ehe blieb kinderlos. Hanna starb am 25. Februar 1999 in New York.

Leopold Löwenstein mit Tochter Marianne, ca. 1941. Foto: Archiv Thomas Schattner

Leopold Löwenstein mit Tochter Marianne, ca. 1941. Foto: Archiv Thomas Schattner

Im September 1936 verließen auch die Eltern Gitta und Simon Wabern. Die Umsätze des Familienbetriebs waren derart gravierend zurückgegangen, dass Simon das Geschäft aufgab. Sie zogen nach Eschwege, wo Tochter Irma und ihr Mann Benno lebten. Bereits am 25. Mai 1937 wurde die Firma im Handelsregister gelöscht. Als für Gitta und Simon die Lage auch in Eschwege zu gefährlich wurde, verzogen sie nach Berlin-Charlottenburg. Hier in Berlin verstarb Simon am 6. Oktober 1940 im Krankenhaus der jüdischen Gemeinde, er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Weissensee beigesetzt. Über die näheren Umstände seines Todes ist nichts bekannt.

Später wanderte Gitta nach New York in die USA aus. Daran wird Tochter Hanna wohl einen maßgeblichen Anteil gehabt haben. Auf der Flucht gingen alle Unterlagen bezüglich des Waberner Geschäfts verloren. Wahrscheinlich lebte Gitta bis zu ihrem Tod am 13. Mai 1956 in New York.

Leopold Löwenstein als Schüler, Fotografie, ca. 1913. Foto: Archiv Thomas Schattner

Leopold Löwenstein als Schüler, Fotografie, ca. 1913. Foto: Archiv Thomas Schattner

Auch Irmas Familie bekam die ganze Härte des nationalsozialistischen Regimes zu spüren. Ihr Mann Benno wurde nach der Reichspogromnacht ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Erst nach vier Wochen kam er wieder frei. Im November 1939 floh die Familie nach Berlin, in die Anonymität der Großstadt. Von Berlin aus betrieb die Familie nun ihre Auswanderung. Durch die Hilfe von Hanna erhielten sie die Genehmigung, über Spanien und Portugal nach Amerika auswandern zu können. Am 31. Mai 1941 verließen sie so das Deutsche Reich. Mit sehr viel Glück konnten sie ihr Heimatland noch verlassen. Lange hatten sie gezögert, weil sie immer hofften, dass „sich die Zeiten umdrehen würden“. Über das Leben der Familie in der neuen Welt ist nichts Näheres bekannt. Irma starb drei Jahre nach ihrem Mann Benno am 24. August 1972 in New York. Dort wurde sie auch beigesetzt.

Nach seinem Einsatz als Soldat im Ersten Weltkrieg, in dem er schwer verwundet wurde, kehrte Leopold Löwenstein nach Wuppertal zurück. Im Jahr 1922 machte er sich dort selbständig. Auf Grund des antisemitischen Drucks gab er am 4. September 1936 sein Geschäft auf und floh in die Niederlande. Wenig später folgte sein Lebensgefährtin Hilde Johanne Luise Pohlmann (geboren am 29. Mai 1908 in Wuppertal). Da er in den Niederlanden eine Nichtjüdin nicht heiraten durfte (die Niederlande hatten die sogenannten „Nürnberger Rassegesetze“ anerkannt), traten sie am 10. Dezember 1936 in London (England) vor den Standesbeamten. Leopold blieb auch nach der Eheschließung jüdisch. Das Ehepaar hatte die Tochter Marianne (geboren am 21. November 1937, verstorben am 26. Juni 2015). Zunächst hatte sich Leopold nach seiner Übersiedlung in die Niederlande in Amsterdam freiberuflich betätigt, ab dem Jahr 1938 arbeitete er als Vertreter für die Schweizer Kosmetikfirma Hamol.

Als in Holland die Deportation der jüdischen Bürger begann, bezog Leopold sein vorbereitetes Versteck in seiner Wohnung, das trotz mehrerer, zum Teil stundenlangen, Hausdurchsuchungen unentdeckt blieb. Was vielleicht auch daran lag, dass nur Ehefrau Hilde eingeweiht war. Nicht einmal Tochter Marianne wusste, wo sich ihr Vater befand. Seine Sicherheit ging über alles. Selbst auf die Nachfragen ihrer Tochter erklärte sie immer wieder nur, ihr Vater sei außer Haus gegangen und nicht wieder gekommen. Leopold betrat die Wohnung nur stundenweise, wenn die Tochter im Kindergarten und später in der Schule war. Nach Kriegsende tauchte Leopold wieder aus seinem Versteck auf. Als erstes zündete er sich eine Zigarre an. Wie sein Bruder Walter hatte auch er mehr Glück als Anne Frank.

Hanna Löwensteins Abiturzeugnis vom März 1923. Foto: Archiv Thomas Schattner

Hanna Löwensteins Abiturzeugnis vom März 1923. Foto: Archiv Thomas Schattner

Schon bald nach Kriegsende arbeitete Leopold wieder. Dazu nahm er Kontakte zu den Familienmitgliedern in den USA auf. 1947, 1949 und 1955 erfolgten Besuche in New York. Geschäftlich vertrat Leopold nach 1945 erneut die Firma Hamol in den Niederlanden. So blieb die Familie in den Niederlanden. Leopold baute zudem erneut ein Geschäft auf, in dem er mit Mitarbeitern Parfümeriegeschäfte und Drogerien mit Hamol-Artikeln versorgte. Der Handel ging derart gut, dass er sein Geschäft von Amsterdam nach Mijdrecht (etwas außerhalb von Amsterdam) verlegte. Erst zu Beginn der 1970er Jahre setzte sich Leopold zur Ruhe. Er verstarb am 28. August 1975 in Amsterdam ohne jemals wieder deutschen Boden betreten zu haben. Seine Frau Hilde verstarb am 28. Dezember 1989 ebenfalls in Amsterdam. Tochter Marianne schrieb am 30. Juli 1999 über ihren Vater: „Mein Vater war ein äußerst positiver, optimistischer, unternehmungslustiger Mensch. Seine Arbeit war seine Leidenschaft. Er hatte eine sympathische Art, mit Menschen umzugehen und alle haben ihn gemocht. Er war nicht der Typ, der in die Vergangenheit zurückschaute, sondern sich immer der Zukunft zuwandte“.

Beides gehört zusammen; ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft und deshalb werden am 8. Februar 2018 die ersten zehn „Stolpersteine“ in Wabern verlegt. Mögen sie mahnen und gleichzeitig im Leopoldschen Sinne Mut für die Gegenwart und die Zukunft machen.

Beginn der Verlegung ist um 10 Uhr in der Bahnhofstraße Nummer 21 vor dem ehemaligen Haus Löwenstein. (Thomas Schattner)