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Stolpersteine für Waltersbrück

Das ehemalige Wohnhaus der Familie Moses/Seligmann. Foto: Archiv Richard Faust, Neuental-Waltersbrück

Das ehemalige Wohnhaus der Familie Moses/Seligmann. Foto: Archiv Richard Faust, Neuental-Waltersbrück

Waltersbrück. Am 8. Februar 2018 werden vier Stolpersteine für die Familie Moses/Seligmann Am Frankenhain (zwischen den Hausnummern 6 und 14) verlegt. Das ehemalige Wohnhaus der Familie wurde abgerissen (heute stehen dort zwei Garagen). Drei der vier Familienmitglieder wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

Betrachten wir deshalb zunächst den historischen Kontext. Schon Anfang der 1930er Jahre veränderte sich das politische Klima im Ort. Therese Olbrich, die als junges Mädchen (Jahrgang 1929) Zeugin verschiedener Ereignisse wurde, spürte damals schon, dass etwas ganz schlimmes mit der jüdischen Bevölkerung passieren würde. Verstehen konnte sie dies nicht, weil ihr Vater immer die Juden am Ort unterstützte und auch Geschäfte mit ihnen machte. Sie erinnert sich: „Gegenüber der Kaufmannsfamilie Rothschild war der ‚Stürmer-Kasten‘ angebracht. Darauf stand ganz groß zu lesen, ‚Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter‘. Die Folgen der Propaganda schildert sie wie folgt: „Ich konnte noch nicht lesen. Vielleicht war ich in der ersten oder Anfang der zweiten Klasse. Vom Vater hatte ich den Auftrag, bei Rothschilds einzukaufen. Aus Furcht vor den Leuten ging ich nicht zu den Rothschilds, sondern in ein nichtjüdisches Geschäft. Mein Pech war, da ich nicht lesen konnte, dass auf der Kaffeetüte der Name der Kaufmannsfrau, Martha Otto, stand. Mein Vater fragte mich, wo ich eingekauft hätte. Daraufhin habe ich gesagt, bei Rothschilds. Da bekam ich natürlich meine Strafe“, weil Therese aus Angst gelogen hatte.

Und dann kam der 8. November 1938, die Reichspogromnacht. Ziel des Angriffs der NS-Schergen in Waltersbrück war die jüdische Familie Seligmann mit der alten Mutter Berta Moses (Jahrgang 1850). Therese Olbrich erinnert sich an die damaligen Ereignisse: „Die Jugendlichen stürmten in die Wohnung und zerstörten alles, was ihnen in die Hände fiel. Dabei haben sie drei Mitglieder der Familie geschlagen und getreten. Die fast 90-jährige Berta Moses haben sie die Treppe hinuntergestürzt. An den Folgen dieser Tat ist die Frau gestorben.“ Auf ihrer Sterbeurkunde wurde offiziell vermerkt, dass sie an Altersschwäche und Herzlähmung in Waltersbrück verstorben ist. So ging das NS-Regime bürokratisch mit seinen Opfern um.

Aufgrund dieser Ereignisse verzogen die gebürtige Waltersbrückerin Betty, Jahrgang 1880, und ihr Ehemann, der Handelsmann Sally Seligmann, ebenfalls Jahrgang 1880, nach Frankfurt a.M. in die Anonymität der Großstadt.

„Das Ehepaar habe ich zuvor mit den letzten Habseligkeiten mit dem Handwagen zur Bahn nach Zimmersrode gebracht“, so Therese Olbrich. „Ein wenig Angst hatte ich schon, dabei gesehen zu werden. Sie waren mir so dankbar, als sie sich von mir verabschiedet haben. Diese Menschen taten mir unendlich leid!“

Im Jahr 1942 wurden Berta Moses Tochter, die fast sechzigjährige Betty Seligmann und ihr ebenso alter Ehemann Sally, gebürtig aus Wetzlar, von Frankfurt a. M. aus ins besetzte Polen deportiert und dort ermordet.

Sohn Siegfried, Jahrgang 1910, gelang bereits zwei Jahre vor der Reichspogromnacht, im Jahr 1936, die Flucht in die USA, wo er 1960 verstarb.

Symbolisch ist nun durch Gunter Demnigs Kunstwerk der Stolpersteine die Familie Seligmann wieder am zentralen Ort ihres Lebens vereint. Waltersbrück bekommt ein Stück Ortsgeschichte zurück, auf die man nicht stolz sein kann. Aber dieses Stück Ortsgeschichte ist unglaublich wichtig, denn es mahnt uns in der Gegenwart sensibel für Vorgänge zu sein, die zur Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 vor 85 Jahren führten. Die Verlegung beginnt um 12.30 Uhr in der Straße „Am Frankenhain“. (Thomas Schattner)



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