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Tschernobyls Folgen im Schwalm-Eder-Kreis

Neues Buch von Thomas Schattner über die Folgen der atomaren Katastrophe

Das Cover des Buchs über die Folgen Tschernobyls im Schwalm-Eder-Kreis. Quelle: Thomas Schattner

Das Cover des Buchs über die Folgen Tschernobyls im Schwalm-Eder-Kreis. Quelle: Thomas Schattner

Schwalm-Eder. Der Waberner Gymnasiallehrer und Lokalhistoriker Thomas Schattner hat eine neue Publikation veröffentlicht, eine Dokumentation zum Gau in der ehemaligen Sowjetunion und dessen Auswirkungen in Nordhessen. Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 liegt nun mehr als 30 Jahre zurück. Auf der einen Seite könnte man meinen, sie sei nur eine von vielen. Hier sei nur an den Gau am 28. März 1979 des Reaktors „Three Miles Island“ in Harrisburg/Pennsylvania in den USA oder an die atomare Katastrophe vom 11. März 2011 im japanischen Fukushima erinnert, wo es in drei Reaktorblöcken zur Kernschmelze kam. Auf der anderen Seite gibt es einen gravierenden Unterschied.

Der Gau, der in Block vier des Großkraftwerks über 1.700 Kilometer Luftlinie entfernt in der Ukraine an der Grenze zu Weißrussland stattfand, hinterließ durch die nach Westen getriebenen, radioaktiv verseuchten, Wolken zahlreiche Spuren in der Bundesrepublik und so auch in Nordhessen. Radioaktiver Staub breitete sich so auch über den Schwalm-Eder-Kreis aus. Politisch und gesellschaftlich war man darauf überhaupt nicht vorbereitet, stattdessen breitete sich damals eine ungeheure Unsicherheit in der Bevölkerung aus, wie mit der atomaren Katastrophe und ihren Folgen umzugehen sei.

Handgemalter Anti-AKW-Button. Foto: Archiv Wolfgang Luncke, Nürtingen

Handgemalter Anti-AKW-Button. Foto: Archiv Wolfgang Luncke, Nürtingen

Auf diesem Weg hielten neue Begriffe den Einzug in den Alltag der Menschen. Becquerel, Rem (roentgen equivalent in man), Halbwertszeit, Jod und Cäsium gehörten nun zur tagtäglichen Kommunikation. Dazu gab es einschneidende Maßnahmen im Alltag. Kurzum, dass Leben hatte sich in nur wenigen Tagen Anfang Mai 1986 in der Republik verändert.

Von dieser Veränderung will diese Dokumentation berichten. Sie beginnt mit einem Zeitungsartikel vom 3. Mai 1986 und endet mit einem eben solchen vom 20. Dezember 1986. Dazwischen zeigen rund 120 Dokumente, wie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl das alltägliche Leben im nördlichen Hessen Stück für Stück eroberte und auch veränderte.

„Die vorliegende Dokumentation verdeutlicht, wie auf lokaler Ebene am Beispiel des Schwalm-Eder-Kreises in Hessen über den Hergang, die Ursachen und die Folgen der nuklearen Katastrophe berichtet wurde. Sie zeichnet den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung gegen die Kernkraft nach und offenbart, wie unvorbereitet die Bundes-, Landes- und Fachbehörden der Katastrophe begegneten“, so Ingo Sielaff vom Borkener Bergbaumuseum in seinem Vorwort zum Buch. Weiter schreibt er: „Beim Lesen der Presseberichte ahnt man, auf welch mühsame Art die Journalisten die Fakten zusammentragen mussten und auf wie wenige verlässliche Quellen sie sich stützen konnten. Die Nachrichtensperre in der Sowjetunion erschwerte die Recherche. Viele Bürger, enttäuscht auch von der bundesdeutschen Informationspolitik, ergriffen die Eigeninitiative und eigneten sich selbst Wissen zum Thema Kernkraft an.“

Frauen nach Tschernobyl: Ausschnitt eines Borkener Flugblatts vom Oktober 1986. Quelle: Archiv Iris Bock-Lahmann, Staufenberg

Frauen nach Tschernobyl: Ausschnitt eines Borkener Flugblatts vom Oktober 1986. Quelle: Archiv Iris Bock-Lahmann, Staufenberg

Die Dokumentation wirft nach Ingo Sielaff zwei Fragen auf: „Wie sinnvoll und zielorientiert waren die damaligen Maßnahmen im Schwalm-Eder-Kreis und in der Bundesrepublik Deutschland gegen die großflächigen Folgen der Reaktorkatastrophe? Und: Sind wir heutzutage im atomaren Katastrophenfall besser gerüstet?“

Wenn auch damals keine gravierenden kurz- und mittelfristigen Veränderungen in der Energiepolitik der Bundesregierung unter SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt zu verzeichnen waren, so kam in Nordhessen aber immerhin als eine Folge der nuklearen Katstrophe von Tschernobyl im Herbst 1986 das endgültige Aus durch die Hessische Landesregierung für das Projekt eines Atomkraftwerks in Borken, welches die PreußenElektra (PREAG) in Hannover von 1972/1974 an betrieb.

Zum Projekt des Atomkraftwerks Borken wird Thomas Schattner zusammen mit Rainer Scherb und Ingo Sielaff im Frühjahr eine dreibändige Dokumentation von rund 800 Seiten herausbringen. Das Tschernobyl-Buch kann weltweit über Amazon zum Preis von 11,24 Euro unter der ISBN-Nummer 978-1985086272 käuflich erworben werden. (red)