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Leben ohne lesen zu können – Analphabetismus im Beruf

Fachtagung im Hephata-Kirchsaal mit rund 100 Teilnehmern

Jens Nieth, DGB Bildungswerk Bund in Düsseldorf. Foto: nh

Jens Nieth, DGB Bildungswerk Bund in Düsseldorf. Foto: nh

Schwalmstadt. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil – ein oft lapidar dahingesagter Satz. Dass in diesem Fall leider auch das Gegenteil zutrifft, darin waren sich die Teilnehmenden einig, die am Mittwoch, 6. Juni 2018, zur Fachveranstaltung „Leben ohne lesen zu können – eine Herausforderung für soziale Berufe“ in den Hephata-Kirchsaal gekommen waren. „Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können, sind vielfach von Ausschlussprozessen aus der Gesellschaft betroffen“, erklärte Prof. Dr. Nicole von Langsdorff, Prodekanin der Evangelischen Hochschule Darmstadt (EHD) am Standort Treysa. Die EHD, die Hephata-Akademie für soziale Berufe und das „Projekt Mento“ vom DGB-Bildungswerk waren die Organisatoren des Fachtags. Dieser richtete sich in erster Linie an Studierende, Auszubildende und Beschäftigte in sozialen und pflegenden Berufen und wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Die Sozial- und Pflegeberufe, wie sie hier am Studienstandort der EHD und an der Hephata-Akademie für soziale Berufe unterrichtet würden, könnten den Ausschlussprozessen entgegenwirken.

Doch nicht nur Menschen in sozialen und pflegenden Berufen sind mit dem Thema Analphabetismus befasst. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) nimmt sich des Themas an. Jana Steckbauer und Filippo Rinallo vom „Projekt Mento“ des DGB-Bildungswerkes, berichteten aus ihrer Arbeit und luden Interessierte ein, sich für eine der kostenlosen Weiterbildungen zum Mentor beim DGB Bildungswerk einzuschreiben. Das „Projekt Mento“ ist ein Netzwerk für Grundbildung und Alphabetisierung. Ziel des Projektes ist es einerseits, Arbeitnehmern gewerkschaftliche Inhalte in einfacher Sprache zu vermitteln und von Analphabetismus Betroffene und deren Umfeld zu ermutigen, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.

Margit Kreikenbom von der Kindersprachbrücke Jena, griff in ihrem anschließenden Vortrag „Funktionaler Analphabetismus als Gegenstand Sozialer Arbeit“ genau den Umgang mit der Schnittstelle zwischen Betroffenen und Sozialer Arbeit auf. Sie erklärte: „Soziale Arbeit ist die Schnittstelle zwischen Bildung und Wohlfahrt.“ Zu oft jedoch sei für Sozialarbeitende die Problemlage nicht sofort erkennbar, auch, weil Betroffene über Jahre hinweg Vermeidungs- und Täuschungsstrategien entwickelten. Zum einen aus Scham, zum anderen aus der Notwendigkeit heraus, den Alltag zu bewältigen.

Margit Kreikenbom, Kindersprachbrücke Jena. Foto: nh

Margit Kreikenbom, Kindersprachbrücke Jena. Foto: nh

Wenn Menschen nicht gut schreiben und lesen könnten, so Kreikenbom, habe dies oft nicht nur eine Ursache, sondern einen ganzen Ursachenkomplex aus familiären, schulischen und persönlichen Hintergründen. Daraus ergäben sich zudem auch Folgeprobleme wie berufliche, finanzielle und gesundheitliche Schwierigkeiten, mit deren Klärung sich dann wiederum Menschen in sozialen und pflegenden Berufen beschäftigten. Kreikenbom plädierte daher für eine Sensibilisierung in der Ausbildung pflegender und sozialer Berufe, um Indizien und Auslöser erkennen sowie Hilfestellungen für Betroffene ermöglichen zu können.

Auf die Notwendigkeit dieser Sensibilisierung machte auch Jens Nieth vom DGB Bildungswerk Bund in Düsseldorf aufmerksam. In seinem Vortrag „Alphabetisierung und Grundbildung in der Arbeitswelt“ verdeutlichte er, dass mehr als 7,5 Millionen Erwachsene in Deutschland schlechter lesen und schreiben könnten als ein Viertklässler. Bei diesen Menschen handele es sich, entgegen verbreiteter Annahmen, überwiegend um deutsche Erstsprachler, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind. Je nach Ausprägung könnten sie nur einfache Sätze, Wörter oder Buchstaben lesen und schreiben. Durch die fortschreitende Digitalisierung in den vergangenen Jahren seien Schriftkompetenzen aber auch in einfachen Tätigkeitsbereichen wichtiger geworden. Analphabeten, die jahrelang im Berufsalltag auch so durchkamen, fielen nun auf – und durch das Raster.

Im Anschluss an die Vorträge arbeiteten die Teilnehmenden in Kleingruppen zu Themen wie „Einfache und Leichte Sprache“ und „Hilfsangebote für Betroffene“ weiter. Birgit Groß vom DGB Bildungswerk Hessen und Hephata-Vorstandssprecher Maik Dietrich-Gibhardt dankten den Teilnehmenden und Organisatoren. Dietrich-Gibhardt erklärte abschließend: „Wir als Hephata Diakonie zeigen bereits jetzt auch mit unserem Jahresbericht in Einfacher Sprache und dem Hephata-Gegenlesezirkel, dass uns das Thema sehr wichtig ist und dass wir auch sprachliche Barrieren abbauen, um möglichst allen Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen.“ (red)