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Spuren von Hoffnungen, Leid und Wünschen

Schüler der Jahrgangsstufe 7 besuchen die Ausstellung. Foto: nh
Schüler der Jahrgangsstufe 7 besuchen die Ausstellung. Foto: nh

Homberg. Erster Weltkrieg: »Heimatgrüße aus dem Kreis Homberg« – u. a. aus Dörfern des Kirchspiels Remsfeld. Unter dieser Überschrift steht ab kommendem Dienstag eine Ausstellung, die in der Bundespräsident-Theodor-Schule (BTHS) zu sehen ist.

Kriegseuphorie und fehlende Männer

Die lokalgeschichtliche Präsentation zum Thema Erster Weltkrieg, von Helmut Koch (Homberg) zusammengestellt, zeigt eine Fülle authentischen Materials aus der Gemdeinde und den Dörfern um Remsfeld. Fotos, Orden, Ehrenzeichen, Ausrüstung, Geschirr, Bücher, gerahmte Kriegschroniken und viele Exponate mehr sind in drei Vitrinen zu sehen. Sie lassen die nationale Kriegseuphorie der damaligen Zeit erahnen, die Vaterlandsbegeisterung und die Kaiserverehrung. Darüber hinaus gewähren die original Dokumente Einblicke in die dörflichen Lebensbedingungen, sie zeigen Sorgen und Nöte der Dorfgemeinschaft, thematisieren das Fehlen der Männer in der Heimat, beleuchten »die Fremden« im Ort, und sie weisen auf die Sammlungstätigkeiten bzw. die Arbeitseinsätze von Kindern und Jugendlichen hin.

Motivation für Frontsoldaten

Zentrale Quellen waren des Weiteren Feldpostkarten und -briefe – wenn auch zensiert – und die »Heimatgrüße aus dem Homberger Kreis«, die von 1915 bis 1918 erschienen. In diesen berichteten die Gemeindepfarrer des Kreises Homberg Monat für Monat über die Geschehnisse in der Heimat. In der ersten Ausgabe hieß es: „[…] dieser Gruß soll zunächst Euch Kunde bringen von dem, was in der Heimat geschieht! Und ernste und frohe Nachrichten wollen wir Euch vermitteln von Euren Kameraden im Osten und Westen!“

Man versprach sich damals davon eine höhere Motivation an der Front und je länger der Krieg dauerte, eine Stärkung des Durchhaltewillens der Soldaten und der Menschen in der Heimat. Nichtsdestotrotz finden sich auch in den »Heimatgrüßen« Spuren von Leid, Hoffnungen und Wünschen der Zivilbevölkerung.

Krieg an der Heimatfront der Knülldörfer

Der Werdegang der Homberger Seminaristen stieß bei den Schülerinnen und Schülern auf großes Interesse. Foto: nh
Der Werdegang der Homberger Seminaristen stieß bei den Schülerinnen und Schülern auf großes Interesse. Foto: nh

Kurator Koch gelang mit dieser Ausstellung ein nahezu hessenweit einzigartiges Projekt. Der Krieg der Soldaten an der Front wurde mit dem »Krieg an der Heimatfront der Knülldörfer« anhand der Dokumente aus Remsfelder, Reddingshäuser, Schellbacher, Welferöder und Relbehäuser Funde enorm eng verzahnt.

Das Schulgebäude und ehemalige Stätte der Lehrerausbildung (»Lehrerseminar«) ist überdies ein authentischer Ausstellungsort. Am 29. Oktober 1914 wurde im heutigen Altbau des Gymnasiums eines der größten Vereinslazarette in Hessen errichtet, über 100 verwundete Soldaten waren teilweise im Haus zur Pflege und Behandlung untergebracht. Die Idee dazu hatte der Homberger »Vaterländische Frauenverein«.

Heldentum muss hinterfragt werden

Im Sommer 1914 hatte die Kriegsbegeisterung besonders die akademische Jugend erfasst, komplette Jahrgänge von Studenten des Lehrerseminars meldeten sich freiwillig in den Krieg, 14 von ihnen sind schon im Herbst gefallen. Einzelne, wie der spätere Leutnant Trebing (Seminarist von 1907 bis 1910 in Homberg) und Seminarlehrer Anacker zeichneten sich durch besondere Tapferkeit aus. Nach den Maßstäben der damaligen Zeit wurden sie zu militärischen »Helden« –, aus heutiger Sicht muss dieses Heldentum hinterfragt werden.

Kaiserregime und OHL missbrauchten die Menschen

Ihre unbestreitbare Tapferkeit geschah in besetztem Land und diente letztlich einem Eroberungskrieg, der von der Propaganda geschickt als Verteidigungkampf (»Mit Gott«) dargestellt wurde. Heute ist jedoch klar: Das Deutsche Reich befand sich spätestens seit 1917 faktisch in einer Militärdiktatur durch die Oberste Heeresleitung (OHL), die u. a. durch Brief- und Pressezensur stabilisiert wurde. Diese Biografien zeugen vom Missbrauch der Menschen damals, ihrer Verblendung und Instrumentalisierung durch das kaiserliche Regime; das konnte nicht gut gehen.

Leutnant Trebings Gefecht

Eine Beschreibung von Leutnant Trebings Gefecht findet sich in der der Zeitschrift »Hessenland«, Ausgaben Nr. 7/8 und 9/10 des Jahres 1918: „Trebing, der mit zwei Kameraden [im April 1918] den zähe verteidigten Übergang über die Lys erkämpfte und diese Stellung mit seinen beiden Kameraden so lange hielt, bis Verstärkungen heran geführt werden konnten, wurde bald nach seiner kühlen Heldentat mit seinen beiden Kameraden vom Kaiser [Wilhelm II:] empfangen […]“.

»Pour le Mérite« – aber tot

Am Ende des Treffens bekam Trebing den Orden »Pour le Mérite« überreicht. Diese höchste und sehr seltene Auszeichnung sollte mit Vizefeldwebel Johannes Gröschner aus Welferode auch ein weiterer Soldat aus Nordhessen erhalten, der zudem nicht einmal – wie üblich – Offizier war. Sein tragisches Schicksal wird in der Ausstellung thematisiert. Bevor ihm die Auszeichnung verliehen werden konnte, erlag er am 11. April 1918 im Lazarett seinen schweren Verwundungen.

Eisernes Kreuz für geschmuggelte Fahne

Die Ausstellung »Heimatgrüße aus dem Kreis Homberg« ist vom 5. bis 27. Februar in der Aula während der Schulzeiten  zu sehen. Foto: nh
Die Ausstellung »Heimatgrüße aus dem Kreis Homberg« ist vom 5. bis 27. Februar in der Aula während der Schulzeiten zu sehen. Foto: nh

Und noch einen Helden des Krieges hatte das Seminar zu bieten: Seminarlehrer Anacker, Leutnant der Reserve, vom 17. Bayrischen Infanterieregiment. Er erhielt das Eiserne Kreuz erster Klasse, nach dem Homberger Kreisblatt vom 28. Januar 1918 für folgendes »Husarenstück« in besetztem Gebiet:

Beim missglückten Sturm auf Fouquevilles (westlich von Bepaume) am 11. 10. 1914 abgeschnitten und in einem Gehöft eingeschlossen, musste er sich am nächsten Abend mit 25 Mann ergeben. Die Fahne des Bataillons, die bei dem kleinen Trupp sich befunden hatte, nähte er in das Futter seines Rockes ein. Es gelang ihm, sie bei allen Visitationen dem Feinde zu verbergen und sie im Juni 1918, als er nach der Schweiz ausgetauscht wurde, in einem Köfferchen mit doppeltem Boden durchzuschmuggeln und sie von der Schweiz aus dem Regiment wieder zuzustellen. Dafür erhielt er jetzt die wohlverdiente Auszeichnung“.

56 tote Seminaristen

Solchen »Heldentaten« gegenüber stehen 56 tote Seminaristen und Lehrer, an deren Schicksal noch heute eine Gedenktafel neben der Aula der Schule erinnert. Sie gingen missbraucht und verblendet mehrheitlich freiwillig in den Krieg. Was dort an Kriegsrealität auf sie zukommen würde, ahnten sie nicht.

Besichtigung der Ausstellung

Die Ausstellung im Foyer des Altbaus der Schule ist vom 5. bis zum 27. Februar auch der interessierten Öffentlichkeit zu den üblichen Öffnungszeiten der Schule zugänglich. Schülerinnen und Schüler anderer Homberger Schulen sind herzlich eingeladen, die Ausstellung mit ihren Lehrern zu besuchen.

(Thomas Schattner | red)