Vor 90 Jahren: Erstes Abitur in Homberg
Homberg (Efze). Im Frühjahr 1923 einigte sich eine Delegation des preußischen Kulturministeriums mit Vertreten von Stadt und Kreis darauf, das altehrwürdige Haus des einstigen Königlich-Preußischen Lehrerseminars künftig als »Aufbauschule für Knaben nach der Form der deutschen Oberschule« zu führen.
Über Schulaufnahme entscheidet der Arzt
So sollten begabte Schüler aus dem ländlichen Raum vornehmlich in Deutsch, Literatur, Geschichte, Länderkunde und Musik gefördert werden. „Weiterhin legte man besonderen Wert darauf, die Schüler dazu zu erziehen, ihre eigenen Erkenntniskräfte zu gebrauchen und alle Überlegungen eigenständig und sorgfältig durchzuführen“, heißt es in einer alten Beschreibung. Zur Aufnahme von Schülerinnen bedurfte es damals eines besonderen Antrags unter Beifügung eines ärztlichen Gesundheitszeugnisses.
Arg geschundenes Häuflein Prüflinge
Im März 1923 fanden erste Aufnahmeprüfungen statt. Von den ca. 60 Bewerbern wurden neun genommen. Ein Teilnehmer erinnerte sich später an die Prüfungen: „Wir waren ein arg geschundenes Häuflein, der Rest von rund 60 Jungen und Mädchen, die gerade eine Aufnahmeprüfung hinter sich hatten. Diese Prüfung, vor allem die mündliche, saß noch allen in den Gliedern“, so ein späterer Abiturient. Das lag auch daran, dass die Prüfungskommission versuchte, die Prüflinge aus ihrer „ländlichen Harmlosigkeit“ durch Fragen, wie z. B. „Warum legt eine Ziege keine Eier?, aufzuschrecken. Wie dem auch sei, diejenigen, die bestanden haben, durften nun in alter Tradition des Seminars eine blauseidene Mütze beim Mützenmacher Scharf in der Holzhäuser Straße erstehen.
Pädagogisches Novum nach Homberger Konzept
Von Ostern 1923 an wurde im Seminargebäude parallel zu den Präparanden so eine erste achte Klasse eines Aufbaugymnasiums (die Volksschulen umfassten damals eine siebenjährige Ausbildung) vom nahezu identischen Lehrkörper des Seminars unterrichtet, Studiendirektor Walther Koch leitete nun neben dem Seminar auch kommissarisch das Aufbaugymnasium, ein pädagogisches Novum. Das Aufbaugymnasium wurde nach der Form der deutschen Oberschule geführt.
Zum Homberger Konzept gehörte es, dass die Schule in jedem weiteren Jahr mit einer neuen achten Klasse aufgefüllt wurde, so dass im Jahr 1929 erstmals sechs Jahrgänge die Schule besuchten und so der Aufbau der Schule als abgeschlossen betrachtet werden konnte, gleichzeitig wurden die ersten Abiturprüfungen im altehrwürdigen Gebäude abgenommen. Jedes Abschlusszeugnis trug den Vermerk: Die August Vilmar-Schule in Homberg ist mit Ostern 1929 gemäß Erlass vom 28. August 1928 − U II 766.1 – als deutsche Oberschule in Aufbauform anerkannt.
Keine langen Wege mehr
Somit knüpfte man wohl mehr unbewusst an die Tradition der Absolventen der Homberger Lateinschule des 15. und 16. Jahrhunderts an, deren ehemalige Schüler fortan auch als Studenten in Prag oder Erfurt anzutreffen waren.
Stück für Stück hatte sich das Gymnasium in Homberg in den nächsten Jahren etabliert, schließlich mussten so die Schüler der Kreisstadt und des Umlandes nicht mehr nach Bad Hersfeld, Alsfeld, Korbach, Fritzlar oder Kassel ausweichen, wenn sie ein Gymnasium besuchen wollten.
Die ersten neun Absolventen
Am 21. Februar 1929 wurde die erste mündliche Reifeprüfung in Homberg abgenommen. Am 6. März erfolgte die feierliche Entlassung der ersten neun Homberger Abiturienten.
Heinrich Friedrichs arbeitete nach seinem Studium als Lehrer. Erich Kaiser machte sich später in Homberg ebenfalls als Lehrer einen Namen. Dr. Otto Kehl wurde später in der Reformationsstadt Zahnarzt. Karl Lambrecht stieg zum Direktor des Röntgenologischen Instituts der Universität Danzig auf, ehe er im Zweiten Weltkrieg fiel. Alfred Metz wurde nach seinem Studium Jurist. Annemarie Nieding arbeitete später als Lehrerin in Bad Hersfeld. Hans Rudolph machte sich später als Zahntechnikermeister einen Namen. Willi Schröder wurde der vierte Lehrer aus diesem Abiturjahrgang. Walter Weidener wurde Rechtsanwalt.
Schule ist niemals Selbstzweck
Ab dem Jahr 1927 wurde die Schule nach August Vilmar benannt, der 1835 dafür gesorgt hatte, dass die Lehrerausbildung nach Homberg kam. So gesehen, schloss sich so ein gewisser Kreis.
In seiner Abschiedsrede betonte der damalige Direktor Dr. Klee, „Die Schule ist niemals Selbstzweck, sie hat die heranwachsende Jugend auf das Leben vorzubereiten“. So wie er 1929 galt, gilt dieser Satz auch noch heute, zeitloser konnte man es nicht formulieren.
Tragisch war dagegen für Hombergs ersten Abiturjahrgang, dass die Republik von Weimar bereits am 30. März 1930 als Demokratie nicht mehr existierte. Als junge Erwachsene mussten sie stattdessen die zwölf Jahre dauernde Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten miterleben.
(Thomas Schattner | red)