Geschichte eines Täters: Bürgermeister Fenner
Spangenberg. In den vergangenen Jahren hat sich der Gudensberger Buchautor Dr. Dieter Vaupel vor allem mit Opfern der Nazidiktatur beschäftigt. In seinem neuen Buch setzt er sich mit einem Täter auseinander.
Amtsvorgänger in den Selbstmord gehetzt
Im Mittelpunkt steht der Spangenberger NSDAP-Ortsgruppenleiter und Bürgermeister Theobald Fenner. Während der 12 Jahre Nazidiktatur hat Fenner maßgeblich dazu beigetragen, nicht nur die über 100 Jüdinnen und Juden systematisch aus dem Ort herauszutreiben, sondern ist auch massiv gegen politische Gegner vorgegangen. Etwa gegen den Liberalen Heinrich Stein, seinen Amtsvorgänger als Bürgermeister, den er durch Hetzkampagnen in den Selbstmord trieb. Oder gegen den Sozialdemokraten Adam Schenk, der immer wieder in Haft genommen und 1944 in ein KZ verschleppt wurde. Schenk überlebte und wurde nach Kriegende erster frei gewählter Bürgermeister in Spangenberg.
„Kleines Rädchen“ der Bürokratie
Anhand von Quellen vor allem aus dem Spangenberg Stadtarchiv, dem Marburger Staatsarchiv und dem Hauptstaatsarchiv Wiesbaden zeigt Vaupel auf, dass Fenner bereits Anfang der 1920er Jahre ein glühender Antisemit und fanatischer Nationalsozialist war. Aber, so der Autor: „Er war kein Mörder oder gar Massenmörder. Er war wie viele andere ein kleines Rädchen in der nationalsozialistischen Bürokratie das hervorrgend funktionierte. Ohne Männer wie ihn wäre der Holocaust nicht möglich gewesen.“
Fenners Pogrom nach Aktenlage
In den Mittelpunkt stellt Vaupel anhand von Gestapo-Akten und von Akten eines nach Kriegesende geführten Strafverfahrens die Ereignisse des von Fenner 1935 gegen die jüdische Bevölkerung initiierten Pogroms. Nach der Verkündigung der Nürnberger Rassegesetze mobilisierte Fenner in der Nacht zum 16. September 1935 die SA und andere NS-Organisationen des Ortes und ließ die christlichen Bediensteten durch SA-Leute aus den Häusern der Juden holen, wobei es zu gewaltsamen Übergriffen kam. Es handelte sich dabei um eine Aktion, die einmalig im gesamten Deutschen Reich war. Vaupel greift dabei auf Aussagen von Tätern, Opfern und anderen Augenzeugen zurück, um die Ereignisse multiperspektivisch zu beleuchten.
Ein Kapitel für die Opfer
In einem eigenen Kapitel richtet sich der Blick dann gezielt auf die Opfer. Der Autor gibt ihnen ein Gesicht, indem er die Geschichte von acht Spangenberger Familien jüdischen Glaubens exemplarisch in Texten, Fotos und Dokumenten vorstellt. Einigen von ihnen gelang noch die Flucht nach Übersee, andere wurden in den Vernichtungslagern des Ostens ermordet.
Das Versagen der Nachkriegsjustiz
Der Aufarbeitung der Spangenberger Ereignisse auf juristische Ebene nach 1945 ist ein Kapitel im letzten Teil des Buches gewidmet. Erschreckend daran ist, dass NSDAP-Bürgermeister Fenner nie wirklich zur Rechenschaft gezogen worden ist. Erst vier Jahre nach Kriegsende konnte ein Strafverfahren gegen ihn geführt werden, da er sich durch Flucht seiner Verantwortung zunächst entzogen hatte. Das Verfahren endete mit der Verurteilung zu einer Haftstrafe, die später in eine Amnestie umgewandelt wurde. So konnte er als „unbescholtener“ Bürger weiterleben.
Daten zum Buch
Dieter Vaupel: „Und wenn einer umfällt und nicht gleich wieder aufsteht, so kann uns das gleich sein“ – Theobald Fenner und das Pogrom vom September 1935 in Spangenberg. Mit einem Vorwort von Edgar Franke. 282 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Schüren-Verlag Marburg. 1. Auflage 2021, 280 Seiten, 28,00 €. ISBN 978-3-7410-0276-2
(red)