Startseite

Ihre Werbung hier!

SEK-News ist die unabhängige Online-Zeitung für den Schwalm-Eder-Kreis. Täglich neu und kostenlos.

Dr. Graichen verteidigt Gebäudeenergiegesetz

Dr. Patrick Graichen war maßgeblich am umstrittenen Gebäudeenergiegesetz beteiligt. Foto: Mario Zgoll | Pro Nordhessen e.V.

Region. Was tun, wenn global Eisflächen schmelzen und Meerestemperaturen steigen, wenn Extremwetter sich häufen? Die CO2-Emissionen radikal auf Null senken! Deshalb, sagt Dr. Patrick Graichen, brachte die Regierung ein „Gebäudeenergiegesetz“ auf den Weg, das den Ausstieg aus Heizungssystemen mit fossilen Brennstoffen vorschreibt.

Dieses Vorgehen der rot-grünen Bundesregierung sorgte im Frühjahr für große Aufregung und Verunsicherung in der Wirtschaft, bei Hausbesitzern oder Mietern. Der Förderverein Pro Nordhessen e.V. hatte zu diesem brisanten Thema seine Mitglieder sowie weitere Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zum Herbstevent eingeladen.

Fehler in der Kommunikation

Rund 130 Gäste kamen zum Herbstevent am 14. November ins Foyer des regionalen Energieversorgers EAM und erlebten einen hochspannenden Austausch. Dr. Patrick Graichen, früherer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, hatte maßgeblich an dem Gesetzesentwurf mitgearbeitet und beschrieb in seinem Impulsvortrag „Zeitenwende beim Heizen und Wohnen“ die Ausgangslage, die Maßnahmen und den Zeitdruck, räumte aber auch Fehler in der Kommunikation ein. Er selbst war wegen des Vorwurfs von Vetternwirtschaft, welcher im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck die Trauzeugenaffäre auslöste, im Mai 2023 in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden.

Fachlich verwies Dr. Graichen in seinem aktuellen Impulsreferat am Dienstag darauf, dass allein der Gebäudesektor mit einer jährlichen CO2-Emission von 112 Mio. Tonnen die Klimavorgaben deutlich reiße. Deshalb habe hier dringender Handlungsbedarf bestanden. Hoffnungsvoll stimme, dass man es nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs binnen neun Monaten geschafft habe, sich unabhängig von russischem Gas zu machen, und Erfahrungen aus den skandinavischen Ländern belegten die Machbarkeit von Emissionssenkungen.

Kein Zwang zur Heizungsdemontage

Allerdings sei der Gesetzesentwurf zu früh in die Öffentlichkeit getragen worden, angeheizt mit vielen Falschmeldungen. Es habe nie ein Zwang bestanden, alte Heizungen herauszureißen. Die Erfahrungen des Frühjahrs mündeten für Graichen allerdings in den Fragen: „Welche ordnungsrechtlichen Maßnahmen trauen wir uns künftig? Wer traut sich Lösungen?“

Dr. Graichen hat für sich nach eigenen Worten zumindest bei der Wärmeplanung die Lösung gefunden: Die Mischung macht’s. So plädierte der Umweltökonom für Wärmepumpe oder Fernwärme und in ländlichen Räumen ganz pragmatisch für individuelle Kombinationen aus Wärmepumpe und Nahwärme.

Am 14.11.2023 fand das Pro Nordhessen Herbstevent zum Thema „Zeitenwende beim Heizen und Wohnen“ statt. Neben Ex-Staatssekretär Dr. Graichen (3. v.re.) standen einige nordhessische Entscheider auf dem Podium. Foto: Mario Zgoll | Pro Nordhessen

Amira El Ahl moderierte das Podium

Hatte Dr. Graichen nach seinen Erlebnissen mit dem GEG (Gebäudeenergiegesetz) noch als Fazit gezogen, wie politische Diskussion nicht funktioniert, klappte dies laut Pro Nordhessen an dem Abend auf dem Podium ausgezeichnet. Moderiert durch Amira El Ahl entwickelte sich eine Debatte, die mit großem Sachverstand, aber durchaus leidenschaftlich geführt wurde und jedem Gast Raum für seine Standpunkte gab.

Dr. Hans-Friedrich Breithaupt, Sprecher der Unternehmensallianz Klimaschutz und Nachhaltigkeit, mahnte zu mehr Tempo und gemeinsamen Schritten und verwies auf die gebündelte Kompetenz der Unternehmen. Die Regierung habe z.B. Zeitpläne ohne die Schnittstelle Handwerk gemacht, auch bleibe die Zeitenwende eine Standortfrage, die Abwanderung von Unternehmen riskiere.

Matthias Krieger, Geschäftsführender Gesellschafter der Krieger + Schramm GmbH & Co. KG, gab mit dem Energiespeicherplushaus ein Beispiel dafür, dass die Zeitenwende bereits vor zehn Jahren eingeläutet worden sei. Sie zeige was die Wirtschaft leisten kann. Er hielt ein Gesetz für unnötig. Nötig seien Vernunft, Zeit und gute Berater, keine Bevormundung.

Für Architektin Barbara Ettinger-Brinckmann ist der Bausektor ein großer Klimasünder. Sie plädierte für eine Städtebauwende und priorisierte das Bauen im Bestand – also auf Lücken und Brachen, die bereits erschlossen sind – oder durch Aufstockung. Sie wünschte sich auch mehr Baumischgebiete ohne Funktionstrennung von Wohnen und Arbeiten, um Wege zu verkürzen.

Christian Wedler ist als Geschäftsführer der GWH Bauprojekte GmbH für 50.000 Wohnungen verantwortlich, von denen 30.000 derzeit mit Gas beheizt werden. Für ihn würde, sagte er, die Umstellung von Gasetagenheizungen auf Fernwärme oder Wärmepumpen große Probleme darstellen und zu Härtefällen durch höhere Mieten führen. Diese Steigerungen könnten nämlich Einsparungen bei Betriebskosten nicht auffangen.

Ölpreisbindung behindert Energiewende

Als Hausherr des Herbstevents begrüßte Olaf Kieser, Vorsitzender der Geschäftsführung der EAM GmbH & Co. KG, die Gäste und unterstrich für sein Unternehmen die Abkehr von fossilen Brennstoffen. Er mahnte zudem beim Publikumsdialog eine Änderung der von Öl und Gas abhängigen Strompreisbildung an, denn diese behindere die Energiewende.

Gastgeber Dr. Jürgen Spalckhaver, Vorstandsvorsitzender von Pro Nordhessen e.V., betonte in seinem Grußwort die große gesellschaftliche Relevanz des Themas und zeigte auf, dass derzeit rund 700.000 Wohnungen fehlten.

Den sozialen Frieden thematisierte Kai Georg Bachmann, Geschäftsführer der Regionalmanagement Nordhessen GmbH, der ganz im Sinne der zahlreich anwesenden kommunalen Vertreter zur Zukunftssicherung um eine breite Allianz bat.

Bevor es ausklingend ans Netzwerken beim Imbiss ging, fasste Pro Nordhessen-Geschäftsführer Markus Exner seine Eindrücke vom Abend zusammen: „Ich freue mich, dass wir alle an einem gemeinsamen Ziel festhalten, jeder auf seine Weise. Wir haben konstruktiv den Dialog gesucht und sogar Lösungsansätze gefunden. Die Richtung stimmt.“

(red)



Tags: , , , , , ,


Ähnliche Beiträge

Bisher keine Kommentare


Einen Kommentar schreiben

© 2006-2024 SEK-News • Powered by WordPress & Web, PR & Marketing• Theme by: BlogPimp/Appelt MediendesignBeiträge (RSS)Kommentare (RSS)ImpressumDatenschutzAGB