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Pollenbach: Inquisition für Anfänger

Von Tobias Knopp

Pollenbach. Gramgebeugt saß Agnus Morologus (42) an seinem antiquarischen Eichenpult. Immer und immer wieder tauchte er seine Feder in das seitlich stehende Tintenfass, setzte zur Beschriftung des vor ihm liegenden Pergaments an, um gleich darauf im Ansatz zu verharren. Zweifelnd runzelte er die Stirn, sein Werkzeug fiel einmal mehr auf den riesigen Tisch. „Heiliger Vater, es ist zum verrückt werden!“, polterte er in das trübe Licht des modrig-kalten Gemäuers. Geradezu spöttisch flackerten die in die Fassungen des siebenarmigen Kandelabers gequetschten Kerzen. Schatten huschten gespenstisch über die grauverfärbten Kalkwände, an denen rostige Folterinstrumente auf ihre nächste heilsbringende Tat im Namen des Herrn warteten.

Sein Domizil hatte schon bessere Tage gesehen. Gerne erinnerte sich Agnus an die Zeit, als seine Mitstreiter noch leichtgläubig waren. Da reichte schon eine unbedachte Bemerkung und schon ereilte die Ketzer der unbarmherzige Arm der Inquisition. Und hier, in seinem Keller, konnten sie sich ihre verkommenen Seelen aus den sündigen Leibern schreien. Nie hatte irgendjemand draußen etwas von dem jämmerlichen Gewimmer vernommen. Und wenn sie erst weit genug waren, hörten sie ohnehin von alleine auf …

Agnus Morologus biss sich auf die Lippen. Lange schon hatte er keinen echten Fall mehr für das hochheilige Gericht der Inquisition. Auch der Exorzismus lief schlecht in diesen Tagen. Was er brauchte, war ein Lamm oder besser noch ein schwarzes Schaf, das sich ohne viel murren schlachten lies. Immer nur virtuell auf seiner Internetseite Schweine durch das Dorf zu treiben, war kein echter Ersatz für einen Schauprozess, an dessen Ende der Delinquent unter der Last seiner Freveltat zusammenbrach und um Vergebung winselte. Auch wenn jene Schweine stets die Gesichter und Namen der Bewohner des kleinen, verträumten Pollenbachs trugen …

Agnus haderte mit sich und dem Herrn. Doch da pochte es plötzlich an seiner Tür. Hastig sprang er auf, eilte zum Eingang und fragte: „Wer da?“. Eine dünne Stimme antwortete: „Hallo erst mal! Ich weiß nicht, ob Ihr es wusstet, aber beim Internetportal ‚www.rottenneighbour.com‘ nenne ich mich ‚Sankt Martin‘, Eure Eminenz“. „So so, Sankt Martin also. Und was führt Euch zu mir?“ „Ich habe da eine Sache, der solltet Ihr nachgehen, mein Vater. Bitte lasst mich ein und es wird Euer Schaden nicht sein.“ Agnus zweifelte. Er hätte schwören können, dass die Stimme vor seiner Tür zu Jäckel oder gar zu Heid, jenen wohlbekannten Höllenkreaturen aus dem Unterdorf gehörte. Dennoch: Was hatte er schon zu verlieren? „Halloween“ war bereits seit Wochen vorbei … Zaghaft drehte er den großen Schlüssel, sperrte auf.

Draußen stand ein blasser junger Mann in zerschlissenen Kleidern, fast ein Kind noch. Flugs huschte er hinein. Agnus deutete auf einen harten Stuhl, wies ihn an, sich zu setzen, und der Junge nahm Platz. „Sprecht! Was wisst Ihr zu berichten, mein Sohn?“ „Vater, es geht um unser Schwulm-Gymnasium in Pollenbachs Aschermittwoch-Straße…“, begann Sankt Martin. „Dort huldigt ein Gelehrter der Ketzerei.“ „Der Ketzerei? Berichte Genaueres“, antwortete Agnus. „Eure Eminenz, er hat seine Schüler mit schändlich, lästerlichen Worten belegt. Auch dürfen Sie in seinem Angesicht keine heiligen Anglizismen mehr aussprechen, selbst wenn sie sich es noch so sehr wünschen.“

Agnus erschrak. “Ist das alles?“, frage er dann mit gepresster Stimme. „Nein, mein Vater. Es kommt noch viel schlimmer: Er verpasst ausländischen Kindern in seinem Unterricht unwürdige, ordentlich Deutsche Namen.  Und er äußert sich rassistisch und verharmlost den lokalen Rechtsradikalismus. Überhaupt ist das Schwulm-Gymnasium ein ganz, ganz übler Sündenpfuhl.  Dort regiert der Fremdenhass und die Schulleitung schließt nicht nur die Augen, nein, sie unterstützt die braune Brut auch noch!“

„Mein Sohn, worte mir ant: Ist das wahr, was Du da sprichst?“, fragte Agnus gespannt. „Nö, mein Vater, keineswegs und nicht die Bohne. Aber es klingt doch echt gut und macht sich bestimmt ganz prima auf der Titelseite Eurer Internetseite ’niederhessennews24′. Obwohl, ich will ja nichts gesagt haben, schließlich möchte ich dort noch mein Abi machen und die Vorteile der Lehranstalt in vollen Zügen auskosten. Da ist es dann eigentlich auch nicht so tragisch, wenn im Unterricht ab und zu mal der Führer zu uns spricht. So, Vater und nun muss ich los. Gleich ist Gruppenabend der örtlichen ‚Jungen Pioniere‘.  Also nix für ungut und ein fröhliches ‚Für Frieden und Sozialismus – seid bereit!‘, Eure Eminenz.“ Mit diesen Worten sprang Sankt Martin von seinem Stuhl auf und eilte freundlich winkend davon.

Agnus Morologus blieb ratlos zurück. Was sollte er nur tun? Er öffnete die Schublade seines Schreibtisches und zog ein staubiges, in rissiges Leder gebundenes Buch heraus. „Inquisition für Anfänger“ war in goldenen Lettern in den Einband geprägt. Er öffnete die vergilbten Seiten. Unter der Überschrift „Kapitel eins“ war da zu lesen: „Ketzerei ist gar schändlich und wird mit ewiger Verdammnis gestraft! Der bloße Verdacht der Ausübung der Ketzerei oder des Paktes mit dem Satan, selbst die durch Dritte geäußerte, völlig unbegründete Anschuldigung aus niedrigsten Beweggründen heraus, ist vollends ausreichend, um die schwarze Seele öffentlich zu läutern und ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Die Rücksichtnahme auf Persönlichkeitsrechte, besonders auf den Ruf oder die Ehre, ist gänzlich unangebracht und entbindet den Inquisitor nicht von der heiligen Pflicht zur Durchführung des Verfahrens.“

Folgende Schritte seien einzuleiten:
1. Aufnahme der Anschuldigung in Schriftform
2. Ordentliche Denunzierung des Verdächtigen im öffentlichen Raume
3. Entzug der wirtschaftlichen Existenz durch eliminierende Einflussnahme auf das bestehende Beschäftigungsverhältnis
4. Soziale Isolierung durch öffentliches Schmähen und gezielte Förderung des aufkeimenden Wunsches zur Selbsttötung (siehe auch Kapitel sieben: „power-mobbing for dummies“)
5. Aufnahme von Folterungen als Grundlage der Geständnisbereitschaft und zur Brechung des Lebenswillens
6. Ankettung am öffentlichen Pranger mit Bespucken durch das Gesinde
7. Aufschichtung eines Scheiterhaufens (Buche, mindestens drei Jahre abgelagert) zur Läuterung der sündigen Seele durch das Feuer
8. Abbrennen des Delinquenten an der frischen Luft
9. Zerstreuung der Asche in alle Himmelrichtungen (kann ab Windstärke 6 entfallen)
10. Öffentliche Andacht mit der Fürbitte, die geläuterte Seele in das Reich des Herrn aufzunehmen

Heureka! Nun wusste Agnus Morologus wieder, was zu tun war. Er startete seinen überalterten Personalcomputer und tippte mit flinken Fingern die Schlagzeile für seine heutige Internetausgabe: „Die Schwulm bleibt blond – das Gymnasium nicht“. Dann rieb er sich voller Freude die Hände. Beim heiligen Vater, endlich würde er wieder eine gestrauchelte Seele zurück auf den Weg des Heils führen dürfen und dabei noch ein fettes Säckchen Dukaten verdienen.

Und bis dahin sei der Herrgott dem armen Sünder gnädig ….

Bild 1 (Wikipedia): Gymnasiallehrer aufgepasst: Pollenbachs Nachrichtenmagazine stellen um auf alternative Heiztechnik!

Bild 2 (TK): „Tritt heraus und zeige Dich, Satan!“



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Ein Kommentar zu “Pollenbach: Inquisition für Anfänger”

  1. Alex

    *prust*! da fehlen noch zwei links, sonst schnallt das keiner :-))

    http://www.nh24.de/content/view/16530/1/

    http://www.nh24.de/content/view/16556/9/


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