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Das Ende einer großen Ära

Hella Böker beendet ihre sportliche Laufbahn

ajw130219aMelsungen. Mit zwölf Jahren nahm sie zum ersten Mal einen Diskus in die Hand, sechs Jahre später war Hella Ulbricht (später verheiratete Böker) die beste Jugend-Diskuswerferin der Welt. Am 7. Oktober 1959 verbesserte sie in Espenhain (bei Leipzig) den Jugendweltrekord auf 50,22 Meter und war damit die erste Jugendliche, die die 1kg-Scheibe über die bis dahin unerreichte 50 Meter-Marke warf. Der Rekordwurf brachte ihr nicht nur den Titel „Meister des Sports“ ein, sondern sie erfüllte damit auch die Norm für die Olympischen Spiele 1960 in Rom, wo der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) und der Deutsche Verband für Leichtathletik (DVfL) aus der DDR noch eine gemeinsame deutsche Olympia-Mannschaft stellten.

Als sie sich für die Olympischen Spiele 1964 in Tokio nicht qualifizieren konnte, wurde sie aus der Spitzensportförderung gestrichen. An der Leistung konnte es nicht gelegen haben, denn sie gehörte mit ihren 53,74 Meter zu den TOP-TEN in der Welt. Da es aber in dieser Zeit ein großes Potenzial an DDR-Nachwuchsathletinnen gab und sie angeblich nicht die körperlichen Voraussetzungen mitbrachte, die künftige internationale Erfolge erwarten ließen, wurde sie ausgemustert. Vielleicht lag es auch an ihrer politischen Einstellung, die nicht immer parteikonform mit der Ideologie der SED war.

ajw130219cEnde 1981 wurde sie „ausgebürgert“ und verließ die DDR gen Westen. Sie heiratete Winfried Böker und wohnt seither in Fuldabrück bei Kassel. 1985 sprach sie bei einem Abendsportfest in Melsungen Alwin J. Wagner an, erzählte ihm, dass sie 1962 an der EM in Belgrad teilgenommen hatte. Sie ließ sich für das Diskuswerfen wieder motivieren und schloss sich einige Wochen später der MT 1861 Melsungen an. Doch gleich beim ersten Training riss ihr die linke Achillessehne, vier Jahre später musste die rechte daran glauben. Aber selbst durch diese schweren Verletzungen ließ sie sich nicht unterkriegen. Sie durchlebte Wochen zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Freude und Frust und kam noch motivierter auf die Bühne des Sports zurück. Jammern gehörte nie zu ihren Charaktereigenschaften.

Mit 46 Jahren gewann sie 1988 Oldenburg ihre erste deutsche Seniorenmeisterschaft im Diskuswerfen. Sie konnte im wichtigsten Wettkampf des Jahres das umsetzen, was sie sich vorgenommen hatte und erzielte im richtigen Augenblick die richtige Leistung. In den letzten 20 Jahren liebte sie die Wettkämpfe, die für sie mehr als Trainingsersatz waren und bei denen sie Gleichgesinnte traf, mit denen sie sich messen konnte. Wann immer sie antrat, spielte sie eine Hauptrolle. Sie holte sich bei den Seniorinnen drei Welt- und sechs Europameister-Titel, gewann 37 deutsche Meisterschaften. Dazu gesellten sich noch in Hülle und Fülle nationale Titel im Rasenkraftsport. Zwanzig Jahre bestimmte sie das Weltniveau im Wurf-Fünfkampf. Sie überzeugte stets mit Leistung, Leidenschaft, Willensstärke und Erfolg.

ajw130219bDas tragischste Erlebnis als Leichtathletin war die Aberkennung der Leistungen 2006 bei der Senioren-EM im polnischen Poznan. Dort gewann sie nicht nur den EM-Titel im Werfer-Fünfkampf, sondern sicherte sich drei weitere Medaillen. Bei der anschließenden Dopingkontrolle wurde in ihrem Urin Hydrochlorothiazid festgestellt. Sie konnte sich das nicht erklären, denn sie hatte in ihrem Leben nie etwas mit Doping zu tun gehabt. Recherchen ergaben, dass dieses (möglicherweise verschleiernde) Diuretikum im ärztlich verordneten Medikament gegen Bluthochdruck enthalten war. Der DLV reagierte sofort. Obwohl nachgewiesen wurde, dass keine dopingrelevanten Stoffe in ihrem Körper vorhanden waren, wurde sie für ein Jahr gesperrt. Der Verband hatte ein bekanntes Opfer gefunden und mit dieser Strafe eine Art Exempel statuiert, dass er auch im Seniorensport mit aller Härte vorgeht. Wogegen grundsätzlich nichts einzuwenden ist. Aber in diesem konkreten Falle hätte man auch vollständig Gnade vor Recht walten lassen können, statt die halbherzige Jahreslösung anzuwenden.

Als Hella Böker im Vorjahr bei den deutschen Meisterschaften im Wurf-Fünfkampf in Zella-Mehlis bekannt gab, dass sie nach diesem Wettkampf ihre sportliche Laufbahn beenden würde, bereitete ihr der DLV noch „ein schönes Abschiedsgeschenk“: Sie musste noch ein letztes Mal den ominösen Gang zur Dopingkontrollle antreten. Insider vermuteten dahinter eine „Zielkontrolle“. Die 71-Jährige empfand diese Prozedur mit der intimen Sichtkontrolle als menschenunwürdig. Natürlich war das Ergebnis dieser Kontrolle negativ. Aber geht man so mit einer der erfolgreichsten Seniorinnen des Verbandes um, zumal es ihr ultimativ letzter Wettkampf war

„Wenn es nicht mehr so gut aussieht, sollte man mit der Werferei aufhören, sagte Hella Böker nach ihrem großartigen Abschneiden bei der EM in Zittau. Wenn man sie, wie zuletzt bei den deutschen Seniorenmeisterschaften im Werfer-Fünfkampf in Zella-Mehlis sah, hatte man den Eindruck, dass sie noch einige Jahre werfen und stoßen wird. Aber die erfolgreiche Werferin hat die Freude an der Leichtathletik verloren. „Wenn man mit 70 auf einen Computer angewiesen sein muss, damit man sich über die ständig ändernden Dopingbestimmungen informieren kann, verliert man den Spaß an der Sache“, sagte sie resignierend.

ajw130219dWas bleibt für sie in der Erinnerung? Sie erlebte als Leichtathletin viele schöne Momente, musste aber auch Rückschläge wegstecken, aus denen sie dank ihrer Charaktereigenschaften stets gestärkt hervorging. Hella Böker holte weit aus und erzählte von ihren Anfängen in Espenhain mit ihrem Trainer Schumann, der ihr Werte wie Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Fleiß, und Disziplin vermittelte. Ihre Augen begannen zu glänzen, als sie von ihrem ersten 50m-Wurf berichtete und vom Neubeginn in Melsungen und ihrer ersten deutschen Seniorenmeisterschaft erzählte. Es war wie eine Perlenschnur, die sich jedes Jahr verlängerte.

Zum Abschluss ihrer langen sportlichen Laufbahn wird Hella Böker am Wochenende beim Kreistag der Leichtathleten in Spangenberg gebührend geehrt und anschließend bei der Jahreshauptversammlung der MT 1861 Melsungen zum dritten Mal in Folge zur Sportlerin des Jahres gekürt. (ajw) 



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