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Verschwörer für die Menschlichkeit

Egbert Hayessen beim letzten Besuch im Juni 1944 bei seiner Familie auf dem Mittelhof bei Gensungen. Quelle: Privatbesitz, Hans-Hayo Hayessen
Egbert Hayessen beim letzten Besuch im Juni 1944 bei seiner Familie auf dem Mittelhof bei Gensungen. Quelle: Privatbesitz, Hans-Hayo Hayessen

Region. Als am 20. Juli 1944 – also vor 75 Jahren – Oberst Claus Graf Schenck von Stauffenberg während einer Lagebesprechung im Führerquartier Wolfsschanze in Ostpreußen eine Bombe in einer Aktentasche in der Nähe von Adolf Hitler deponiert, gehört auch ein Mann aus unserer Region, Major Egbert Hayessen, der in der Gensunger Staatsdomäne Mittelhof einen Teil seines Lebens verbrachte, zu den Verschwörern.

Fast vergessener Widerstandskämpfer

Nach dem gescheiterten Attentat wurde Hayessen am 15. August 1944 vom Volksgerichthof zum Tode verurteilt und noch am selben Tag in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Der Gudensberger Zeitgeschichtler Dr. Dieter Vaupel hat die bewegende Geschichte des fast vergessenen Widerstandskämpfers Hayessen und das seiner Familie, die nach seiner Ermordung in Sippenhaft kam, nun in einem 150-seitigen Buch dokumentiert, das in Kürze im Schüren-Verlag Marburg erscheinen wird.

Unter den ersten Festgenommenen

Hayessen schlug nach dem Abitur eine militärische Laufbahn ein, die ihn bis zum Major beim Oberkommando des Heeres nach Berlin führte. Er schloss sich dem militärischen Widerstand an und war für Aufgaben im Rahmen der »Operation Walküre« vorgesehen. Hayessen wurde als einer der ersten nach dem Scheitern der Verschwörung noch am selben Abend festgenommen. Bis zu seiner Verurteilung – gemeinsam in einer Verhandlung mit dem ebenfalls aus Nordhessen stammenden Adam von Trott zu Solz – wurde er im Gestapo-Gefängnis Lehrter Straße in Berlin inhaftiert und verhört.

Egbert Hayessen vor Gericht. Am 15. August 1944 wird er vor dem Volksgerichtshof durch Roland Freisler zum Tode verurteilt. Quelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin
Egbert Hayessen vor Gericht. Am 15. August 1944 wird er vor dem Volksgerichtshof durch Roland Freisler zum Tode verurteilt. Quelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin

Familie in Sippenhaft

Vaupel stieß bei seiner Recherche in diversen Archiven nicht nur auf bisher unbekannte Dokumentes über die Lebens und Leidensgeschichte Hayessens, sondern es gelang ihm auch Kontakte zu seinen beiden noch lebenden Söhnen herzustellen und diese zu interviewen. Hans-Hayo und Volker, damals zwei Jahre bzw. neun Monate alt, wurden nach der Verhaftung ihres Vaters gemeinsam mit den Kindern anderer Widerstandkämpfer in ein Kinderheim nach Bad Sachsa gebracht. Ihre Mutter Margarete, die Mutter ihres Mannes und der Schwester internierte man im Konzentrationslager Ravensbrück, Vater Ernst Hayessen wurde nach Buchenwald gebracht.

„Das Ziel der Nationalsozialisten war es, die ganze Familie zu zerstören. Die Kinder wurden isoliert und sollten umerzogen werden“, so Vaupel. Doch schließlich wurden alle im Herbst 1944 dann doch wieder freigelassen.

Auf Jahre traumatisiert

Lange Jahre litt Margarete, die Egbert letztmalig bei einem Besuch Ende Juni auf dem Mittelhof gesehen hatte, unter dem Verlust ihres Ehemannes. Viele Wochen verbrachte sie im Sanatorium. Und auch die Söhne waren traumatisiert, besonders der Ältere, Hans-Hayo, der panische Ängste vor allen Personen in uniformähnlicher Kleidung entwickelte.

Doch auch auf anderer Ebene hatten sie zu leiden: „In den Jahren nach Kriegsende wurden die Familienangehörigen der mutigen Männer des 20. Juli als Verräter behandelt“, kommentiert Vaupel. Auch finanziell ging es den Hayessens mit einer kleinen Witwenrente schlecht. Es dauerte Jahrzehnte bis in der Bundesrepublik Deutschland die Unrechtsurteile aufgehoben wurden und sich damit auch die soziale Situation der Familie änderte.

Späte Erinnerung

Und bis Ende der 80er Jahre dauerte es gar, als man erstmalig öffentlich an den Widerstandskämpfer Hayessen in der Region erinnerte. Schließlich setze man einen Gedenkstein am Mittelhof in Gensungen und benannte einen Feldweg in der Nähe nach Hayessen.

„Doch sollte man gerade heute, angesichts erstarkender rechter Tendenzen, nicht nach darüber hinausgehenden Formen der Erinnerung suchen?“, so fragt der Buchautor.

Ein Zeichen setzt er auf alle Fälle nun mit seinem Buch, dessen Drucklegung vom Schwalm-Eder-Kreis und der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen unterstützt wurde.

Das Beispiel Egbert Hayessen zeige, so Vaupel, dass es auch in unserer Region Menschen gab, die sich während der NS-Zeit aktiv gegen Gewaltherrschaft und für Freiheit, Recht und Demokratie eingesetzt haben. Hayessen und seine Mitverschwörer hätten sich entschieden, für das Wiedererlangen der Menschlichkeit in einem Unrechtsstaat nicht zuletzt ihr eigenes Leben einzusetzen.

Das Buch:

Dieter Vaupel: »Egbert Hayessen: Erinnerungen an einen fast vergessenen Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 und seine Familie« — Schüren-Verlag 2019 — 150 Seiten — Preis 19,90 Euro.

Egbert Hayessen beim letzten Besuch im Juni 1944 bei seiner Familie auf dem Mittelhof bei Gensungen. Quelle: Privatbesitz, Hans-Hayo Hayessen
Egbert Hayessen beim letzten Besuch im Juni 1944 bei seiner Familie auf dem Mittelhof bei Gensungen. Quelle: Privatbesitz, Hans-Hayo Hayessen

(vau | red)



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