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Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort

Gewerkschafter einig: Europäische Arbeitsmarkt braucht dringend soziale Regulierung

dgb130612cKassel. Dumpinglöhne, extreme Arbeitszeiten, skandalöse Unterkünfte und ausländische Arbeitnehmer, die den Vorgesetzten nahezu wehrlos ausgeliefert sind: Die zunehmende Durchlässigkeit der innereuropäischen Grenzen für arbeitssuchende Menschen geht derzeit mit erheblichen Schwierigkeiten einher. Der weithin bekannte Skandal um die Saisonkräfte beim Internet-Riesen Amazon ist da nur ein Beispiel unter vielen. Grund genug für den nordhessischen DGB, im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Kassel zu fragen, wie man angesichts der zunehmend deregulierten Mobilität auf dem europäischen Arbeitsmarkt „gute Arbeit“ sichern kann.

Bei der Diskussion im DGB-Haus wurde schnell klar: Die Gewerkschaften lehnen die zunehmende Durchlässigkeit der europäischen Grenzen für Arbeitnehmer nicht grundsätzlich ab. Im Gegenteil ist für die Gewerkschaften der europäische Arbeitsmarkt ein wichtiges Versprechen für alle Arbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedsstaat arbeiten wollen. „Wir kritisieren allerdings die zum Teil sehr schlechten Bedingungen, unter denen gearbeitet wird“, sagte der nordhessische DGB-Regionsgeschäftsführer Michael Rudolph. „Gute Arbeitsbedingungen müssen ausnahmslos für alle gelten.“

dgb130612aAusländische Arbeitnehmer werden ausgebeutet
Die Realität sieht derzeit anders aus. Bei dem Einsatz ausländischer Arbeitnehmer würden häufig Sozialstandards unterlaufen, berichtete Mihai Balan von der gewerkschaftlichen Beratungsstelle „Faire Mobilität“ in Frankfurt am Main. „Die Verstöße reichen von der Scheinselbständigkeit im Rahmen von Werkverträgen bis hin zur Hinterziehung von Sozialabgaben durch die Arbeitgeber in den Herkunftsländern“, berichtete Balan aus seiner Beratungspraxis.

Den Arbeitnehmern würden zudem systematisch horrende Mieten für heruntergekommene und überbelegte Sammelunterkünfte abgezogen. „Wir erleben die Entstehung von Arbeitergettos mit Sammelunterkünften und Sammelfraß“, brachte er die Entwicklung auf den Punkt. Der Verdienst der Arbeitnehmer sei dabei marginal: „Wir haben in Frankfurt Fälle mit Stundenlöhnen von unter einem Euro.“

Angst in der Fleischindustrie
Betroffen sind je nach Region vor allem Beschäftigte auf dem Bau, in der Gebäudereinigung, in der Fleischindustrie sowie bei haushaltsnahen Dienstleistungen. Von nahezu „betriebsratsfreien Zuständen“ in der fleischverarbeitenden Industrie berichtete der Geschäftsführer der nordhessischen Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Andreas Kampmann. „Wir hören aus den  Betrieben, dass Werkverträge mittlerweile das Instrument der Leiharbeit ablösen“, berichtete er. Die Beschäftigten seien zu verängstigt, um sich mit der Gründung von Betriebsräten gegen Lohndumping und rechtlose Zustände zur Wehr zu setzen. „Es herrscht eine große Angst vor Repressalien.“

dgb130612bEuropa geht anders
Das alles sei ein Verstoß gegen die europäischen Ideale, sagte der Präsident der Arbeitnehmergruppe im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, Georges Dassis. Der Grundgedanke der Europäischen Union sei die Friedenssicherung durch Demokratie und Wohlergehen der Bevölkerung, sagte Dassis. „Die Gemeinschaft wollte die Harmonisierung im Fortschritt. Zurzeit sind wir aber dabei, die Harmonisierung nach unten und zum Nachteil der Arbeitnehmer durchzuführen.“

„Europa war Vorreiter bei der Entwicklung guter Arbeit“, sagte auch die Abteilungsleiterin Europapolitik beim DGB-Bundesvorstand, Gabriele Bischoff. Es sei stets die europäische Idee gewesen, Mindeststandards zu definieren und einen Dumping-Wettbewerb zu unterbinden. „Wir müssen wieder zu einer europäischen Politik des fairen Wettbewerbs durch gemeinsame Regel kommen“, sagte die Gewerkschafterin.

Derzeit erlebe man europaweit einen massiven Anstieg prekärer Arbeitsverhältnisse und ein Abwälzen  der Krisenfolgen auf die Arbeitnehmer. „Die Regierung Merkel spielt hier auf der europäischen Bühne leider eine fatale Rolle“, kritisierte die Gewerkschafterin. Die deutsche Regierung setze in den Hinterzimmern des Europäischen Rates Positionen durch, die den Arbeitnehmern schadeten.

Verschiedene Maßnahmen zur Regulierung notwendig
Wie aber kann man nun auf dem europäischen Arbeitsmarkt „gute Arbeit“ sichern? Die Antworten der Podiumsgäste machten deutlich, dass an vielen Schrauben gedreht werden muss, um die Situation zu verbessern. So forderte Mihai Balan von der gewerkschaftlichen Beratungsstelle „Faire Mobilität“ vor allem die konsequente Anwendung bestehenden Rechts. „Wir brauchen deutlichere Strafen für diejenigen, die ausbeuten und Menschen durch illegale Praktiken ruinieren und mehr Personal bei den Bekämpfungsbehörden“, sagte er.

dgb130612dZudem müsse die rechtliche Stellung der Arbeitnehmer gestärkt werden. „Arbeitsrecht müssen sie in unserem Rechtssystem privat durchsetzen“, erklärte Balan. „Aber füllen sie als Ausländer mal einen Antrag auf Prozesskostenhilfe aus“, sagte er und verteilte zur Anschauung Exemplare des mehrseitigen Formulars an das Publikum. „Stellen sie sich vor, das Formular wäre in einer fremden Sprache gehalten.“ Ein „Recht auf Beratung“ für ausländische Arbeitnehmer könnte den bisher nur spärlich vorhandenen Beratungsstellen die Finanzierung sichern und die Durchsetzung von Recht vorantreiben.

Bundestagswahl und Europawahl im Blick
Die politische Ebene hatten Georges Dassis und Gabriele Bischoff im Blick ihrer Forderungen. „Die europäische Gewerkschaftsbewegung hat eine große Mehrheit der Bevölkerung hinter sich“, sagte Dassis. Man arbeite im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss beharrlich daran, der Europäischen Kommission die richtigen Vorschläge zu machen und Rückschritte zu verhindern. Bischoff macht klar, dass der DGB sich im Vorfeld der kommenden Bundestagswahl für eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt stark mache. Wichtig sei aber auch die Wahl des Europäischen Parlaments im Jahr 2014. „Es gibt bestimmte Regelungen, die können wir nur europäisch machen, weil sie grenzüberschreitende Aspekte haben“, sagte sie.

Der Fazit der gut zweistündigen Diskussion: Der europäische Arbeitsmarkt braucht verbindliche Regeln, die einen fairen Wettbewerb ermöglichen und die menschenunwürdige Ausbeutung von „Arbeitskräften“ verhindern. „Wir brauchen gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, sagte Bischoff. Ein Ziel, für das Gewerkschafter auf vielen Ebenen in ganz Europa arbeiten.

Weitere Informationen im Internet unter nordhessen.dgb.de. (red)



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