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Mogelpackungen und andere Tricksereien

„Nordhessen im Wandel“ – Gut besuchter Infoabend in Fritzlar

Prof. Dr. Lutz Katzschner, Uwe Behrens, Dr. Markus Schimmelpfennig, Martin Häusling und Andreas Grede (v.l.). Foto: Warlich

Prof. Dr. Lutz Katzschner, Uwe Behrens, Dr. Markus Schimmelpfennig, Martin Häusling und Andreas Grede (v.l.). Foto: Warlich

Fritzlar. „Wenn die Verbraucher ein echtes Bild auf der Verpackung des Tiefkühlhähnchens sehen würden und keine gemalte Bauernhofidylle, würden sie das Fleisch liegen lassen“, sagte Martin Häusling in seinem Schlussstatement auf dem Podium. „Nordhessen im Wandel – Wie die Massentierhaltung unsere Umwelt, Landschaft und Gesundheit beeinträchtigt“ hieß die Veranstaltung, zu der die Bürgerinitiative Chattengau gegen Massentierhaltung am Samstag nach Fritzlar eingeladen hatte. „Tierschutz ist ein Hauptmotiv für die Aktivitäten der Bürgerinitiative“, betonte ihr Sprecher Andreas Grede. Doch an diesem Abend ging es ganz besonders um die Auswirkungen der sogenannten „Intensivtierhaltung“ für den Menschen und seine Umwelt.

Die Gäste auf dem Podium konnten aus ihren Fachbereichen und Erfahrungen viele interessante Details berichten. Dr. Markus Schimmelpfennig vom Gesundheitsamt Kassel erklärte pointiert, wie sich multiresistente Keime verbreiten von Tier zu Mensch. Zwar könnten mit entsprechender Küchenhygiene gesundheitliche Gefahren reduziert werden. Doch letztlich sei der massenhafte Einsatz von Antibiotika (durchschnittlich mehr als zwei Durchgänge im kurzen Leben eines Masthähnchens) eine zunehmende Bedrohung in der Humanmedizin. Auch die Weltgesundheitsorganisation würde warnen vor „vor-antibiotischen Zuständen“. Dann könnten eher harmlose Krankheiten wie Wundinfektionen dramatische Folgen haben. Er kritisierte einen Trick der Bauernverbandsfunktionäre: Prophylaktische Antibiotikagaben würden offiziell abgelehnt. Doch wenn in einem Geflügelstall auch nur ein Tier erkrankt sei, könne der ganze Stall mit entsprechenden Medikamenten „versorgt“ werden.

Auch Prof. Dr. Lutz Katzschner, Umweltmeteorologe, kritisierte, dass Schadstoffemissionen der Ställe und Schlachthöfe vor Ort mit Karten beurteilt würden, die keine Aussagekraft hätten. Durch diese Tricksereien würden ernsthafte Umweltauflagen umgangen. Fakt sei, dass Keime gebunden an Staubpartikel in die Umgebung geraten würden. Da manche Keime sechs Monate überleben würden, sei das eine durchaus ernste Gefahr.

Die Veranstaltung der BI war gut besucht. Foto: Warlich

Die Veranstaltung der BI war gut besucht. Foto: Warlich

Uwe Behrens von der Bürgerinitiative MUT und ein Sprecher das Landesnetzwerks Niedersachsen „Bauernhöfe statt Agrarfabriken“, konnte drastisch von den Folgen der Massentierhaltung im Raum Cloppenburg/Vechta berichten. Nitratverseuchtes Trinkwasser, das nur durch Verschnitt (also die Beigabe von unbelastetem Wasser) überhaupt noch genießbar sei, war ein Thema. Dazu eine Schlachthofdichte und Erweiterungen, die längst an die Grenzen des Machbaren gingen. Verlierer seien die Landwirte, die für mittelmäßigen Boden horrende Kauf- oder Pachtpreise zahlen müssten. Letztlich seien aber auch viele landwirtschaftliche Mastbetriebe durch zu hohe Investitionen in Massentierställe finanziell ausgeblutet und müssten Land verkaufen um zu Überleben. Wer jedoch sein Tafelsilber verkaufe, hätte keine Zukunft. Ackerland sei zum Spekulationsgegenstand verkommen.

Dieses Thema griff auch Martin Häusling, der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament auf. Vorschläge der ökologischen Fraktionen, EU-Gelder nicht nach Hektar Land zu verteilen, würden regelmäßig von Deutschland abgeblockt. Der Bauernverband, der sich ja auch für die Abschaffung der Milchquote stark gemacht habe, würde seinen Einfluss u.a. auf den Bundeslandwirtschaftsminister nutzen. Auf hoher Verbandsebene und auch in der Agrarindustrie sei das Bestreben ungebrochen, auf dem Weltmarkt zu expandieren. Doch, so Häusling, es sei fatal, wenn man den europäischen Markt mit 600 Millionen Verbrauchern vernachlässige, um Milch zu Dumpingpreisen nach Neuseeland zu exportieren.

Alle Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass es zu kurz greifen würde, dem Verbraucher, der angeblich nach billigem Fleisch lechze, die gesamte Verantwortung zu übertragen. Klare Kennzeichnungspflicht wäre ein wichtiger Schritt zur Aufklärung, und Information und würde die Nachfrage ändern.

Zudem müsse die Politik regulierend eingreifen, um Landwirten ein vernünftiges Wirtschaften zu ermöglichen. Diese müssten allerdings auch umdenken und nicht versuchen, mit industriellen Methoden mitzuhalten, um noch mehr noch billiger zu produzieren. 100.000 Betriebe hätten in den letzten 10 Jahren aufgeben müssen, auch dies sei eine Folge der Wachstumsideologie.

In seinem Schlussplädoyer forderte Dr. Schimmelpfennig mehr Wertschätzung für die Arbeit der Landwirte. Dies müsse sich auch in den Preisen für hochwertige Lebensmittel wiederspiegeln.

Einige in der Zuhörerschaft anwesende Landwirte waren nicht mit allen Ausführungen einverstanden, doch helfe ein Miteinanderreden immer, um Verständnis für die eine Seite aber auch Ideen für Veränderungen zu gewinnen, meinte der BI-Sprecher. Viele Besucher standen nach dem offiziellen Ende noch sehr lange in kleinen Gruppen beieinander und diskutierten weiter.

Weitere Informationen unter www.bi-chattengau.de und auf www.facebook.com/bi.chattengau.de. (red)



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