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Diakon ohne totale Perfektion

Heinrich Gläßer geht nach 42 Jahren bei Hephata in den Ruhestand

heinrich-glaeser150316Schwalmstadt-Treysa. Heinrich Gläßer, oder Heijo, wie ihn Schüler und Kollegium der Hephata-Akademie für soziale Berufe nennen,  wird offiziell Ende März in den Ruhestand verabschiedet. Zeitmesser haben es ihm angetan. Obwohl er Chronometer sammelt, derzeit sind es allein 170 Armbanduhren, trug er lange Jahre keine am Handgelenk. „Ich bin ein Uhren-Freak, brauche sie aber nicht. Ich habe eine innere Uhr und war so gut wie nie unpünktlich“, sagt der 65-Jährige. Na ja, bis auf den einen Sonntagmorgen, an dem er seine Einsegnung in das Diakonenamt nach durchfeierter Nacht verschlief. „Ich war schon immer etwas unkonventionell. Ich habe die Einsegnung nicht nachgeholt und mir gedacht, ich lebe einfach das Diakonische.“

Fünf Minuten vor sechs, heute noch wird Heijo Gläßer um diese Uhrzeit wach. Dabei müsste er gar nicht mehr, denn der ehemalige stellvertretende Leiter und Dozent der Akademie ist nur noch einmal in der Woche an der Hephata-Akademie für soziale Berufe anzutreffen. Ansonsten hat der Ruhestand schon begonnen. „Ich unterrichte noch eine Klasse der berufsbegleitenden Erzieherausbildung, die im März 2012 angefangen hat. Ich habe damals versprochen, dass ich diesen Kurs noch bis zum Ende begleite.“ Das wird im April 2015 sein. Offizieller Beginn des Ruhestands wird für Heijo Gläßer der 27. März sein.

Doch drehen wir die Uhr zurück: Zunächst absolvierte Heinrich Gläßer nach der Schule eine Ausbildung zum Indus-triekaufmann. Obwohl ihm schon während der Ausbildung klar war, dass das nicht sein künftiger Job sein würde, zog er die Ausbildung durch – und danach ein halbes Jahr in die Welt, Amsterdam, Paris – „das war meine Initiationszeit, in der ich erwachsen geworden bin“, sagt er heute. Während dieser Zeit wuchs auch die Gewissheit, Diakon werden zu wollen. In der Ausbildung hatte er einen Diakon aus Hephata kennengelernt, der an der Berufsschule Religion unterrichtete. „Ich dachte, das kann was für Dich sein. Ich bin dann mit ihm ein Wochenende mit nach Hephata gekommen und habe mich über die Möglichkeiten der Ausbildung zum Diakon eingehend informiert, dann stand mein Entschluss fest.“

Für Heinrich Gläßer begann die Ausbildung damals, von 1968 bis 1969, zunächst zum Heilerziehungspfleger, danach in einem Jahr zum Diakon. Direkt im Anschluss stieg er als Erziehungshelfer in die Jugendhilfe ein. „Dort habe ich mein Herz für die Jugendhilfe entdeckt.“ Doch Herz allein reichte nicht, also hing Gläßer von 1971 bis 1973 die Erzieherausbildung im Johannisstift  Berlin dran.  Danach kam er in die Schwalm zurück und übernahm eine Gruppenleiter-Stelle in der Jugendhilfe. Er arbeitete mit zwölf Jugendlichen mit herausfordernden Verhaltensweisen zusammen. „Mir war es wichtig, mich als Mensch zu verwirklichen, nicht mit totaler Perfektion, sondern mit der Erkenntnis, dass Fehler Hinweise für notwendige Entwicklungen sind. Das habe ich auch bei Kindern mit schwerer Sozialisation versucht zu fördern und zu beachten. Es galt, nicht die Beeinträchtigung zu sehen, sondern die Ressourcen der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Eltern.“

Das Ausschöpfen der eigenen Ressourcen trieb ihn selbst immer weiter voran. „Mein Vater hat mir als Kind vermittelt, dass man alles werden kann, wenn man es nur will, dass Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit das Wichtigste im Leben sind.“ Als Gläßer merkte, dass er in Berlin nicht alles gelernt hatte, was er für die alltäglichen Herausforderungen in der Erziehungshilfe brauchte, begann er berufsbegleitend ein Studium der Sozialpädagogik an der HS Fulda, das er 1976 mit dem Diplom abschloss. Bereits 1978 folgte das zweite Studium in Marburg, das er 1982 mit dem Abschluss Diplom-Pädagoge beendete. Es folgte die Zeit von 1984 bis 1990 als Leiter der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) im Schwalm-Eder-Kreis. In dieser Zeit vertiefte sich auch der Kontakt zur Akademie: Neben Gruppenleitung, Leitung der SPFH und Studium arbeitete Gläßer von 1977 bis 1990 zunächst als ehrenamtlicher Dozent für Erziehungshilfen an der Akademie, 1990 wurde er hauptamtlicher Dozent. Heinrich Gläßer unterrichtete unter anderem in den Fächern Sozialwissenschaftliche Grundlagen, Grundlagen der Heil- und Sozialpädagogik und Qualitätsmanagement in sozialen Unternehmen und Einrichtungen. Zudem entwickelte er die berufsbegleitenden Ausbildungen zum Heilpädagogen und zum Erzieher sowie die Ausbildung zum Heilerziehungspfleger mit.

Vom Juli 2004 bis Juni 2014 war der 65-Jährige zudem der vom Kollegium gewählte stellvertretende Leiter der Akademie. „Ich glaube, ich habe da einen guten und verantwortungsvollen Part gemacht. Ich habe mich in der Rolle verstanden, die rechtlichen Dimen­sionen der Ausbildungs- und Schulordnung sowie die Interessen des Kollegiums zu vertreten und dabei auch die wirtschaftliche Entwicklung der Akademie verantwortungsbewusst im Blick zu haben.“ Eine demokratische, auf Mitgestaltung, Mitbestimmung und Mitverantwortung angelegte Arbeitswelt, sei ihm gerade im Rahmen der Sozial- und Heilpädagogik sehr wichtig.

Mitgestaltung, Veränderungen, Interessen und immer wieder Lernen bestimmten sein Leben. Und jetzt? „Mein Plan ist, mir keinen Plan für den Ruhestand zu machen.“ Ein bisschen Haus und Garten, ein bisschen Lesen – derzeit die „Anleitung zum Müßiggang“, Zeit mit seiner Frau Christina und seiner Stieftochter Anna verbringen. A propos Zeit: „Am Wochenende hat mir wieder jemand eine kaputte Uhr vorbeigebracht: „Kannst Du mal gucken?“ (me)



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